Zwischenrufe, Schuldzuweisungen, Turbulenzen: Senator Joe Chialo wird im Berliner Kulturausschuss schwer angegangen
Vor dem Berliner Abgeordnetenhaus stehen Kisten mit Weihnachtsdeko, auch der Baum ist schon aufgestellt. Schöne Bescherung. Auf der Treppe im Parlamentsgebäude, auf dem roten Teppich, überreichen Vertreter:innen der Berliner Kulturszene Senator Joe Chialo ein besonderes Präsent, eine Liste mit 105.000 Unterschriften von Berliner Bürgerinnen und Bürgern, die gegen die massiven Sparmaßnahmen des Senats protestieren.
Gleich beginnt an diesem Montag in Raum 311 der 43. Kulturausschuss. Deshalb hatte die Kultur zu einer Protestkundgebung vor Ort aufgerufen, einen Tag, bevor am Dienstag über den Nachtrag zur „Konsolidierungsliste“ abgestimmt wird. Gekommen sind nicht nur Vertreter der großen Bühnen, geredet; gepfiffen und gejohlt wird auch von den Leiter:innen kleinerer Häuser und Projekte wie des RambaZamba-Theaters, die sich seit Jahren um Diversität und Inklusion verdient machen.
Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei durch die Kürzungen gefährdet, sagen sie, in Anspielung auf Chialos Titel als Senator für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Schließlich steht auch der komplette Diversitätsfonds (500.000 Euro) auf der Streichliste. In der Sitzung fügt Gerlinde Bendzuck vom Institut für Kultur-Markt-Forschung denn auch hinzu, dass Inklusion selbst in Zeiten des Sparens kein „nice to have“ sei, sondern ein Menschenrecht. Die Existenz gerade auch dieser Bühnen und Projekte steht mit dem Sparprogramm auf dem Spiel.
Zunächst geht es um Nan Goldin und den Eklat in der Nationalgalerie
„Betroffen sind wir alle“, heißt es auf der Kundgebung. Seit einer Woche steht fest: Statt um die angekündigten 10 Prozent soll der Berliner Kulturhaushalt um 12 Prozent schrumpfen – fast 130 Millionen Euro sollen 2025 eingespart werden. Joe Chialo versprach weiterzukämpfen. Im Tagesspiegel-Interview versicherte Finanzsenator Stefan Evers jedoch, dass sich an den Ressortbudgets nichts mehr ändert: „Niemand darf mit mehr Mitteln rechnen“. Seitdem fragt sich die Kulturszene, ob Chialo nicht ausreichend gekämpft hat oder allem Kampfgeist zum Trotz nicht durchsetzungsfähig war.
In Raum 311 wird Chialo zunächst um ein Statement zum Eklat bei der Eröffnung der Nan-Goldin-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie gebeten. „Klaus Biesenbachs Entgegnung auf Goldin wurde auf eine Art und Weise niedergeschrien, dass man sich fragt, wie kaputt der Diskurs in Berlin ist“, sagt der Kultursenator, distanziert sich von Goldins israelkritischer Haltung (sie nennt das Vorgehen in Gaza „Genozid“) und erinnert daran, dass Berlin die Stadt sei, von der aus der Holocaust geplant wurde. Es könne nicht sein, dass hier geschichtsvergessen agiert werde.
Als Daniel Wesener von den Grünen wissen will, ob auch die 70.000 Euro für die „Berlin sagt Danke“-Aktion am kommenden Wochenende zur Ehrung zivilgesellschaftlichen Engagements für 2025 gestrichen seien – so hat Wesener es auf der Nachtragsliste gesehen –, weicht Chialos Staatssekretär Oliver Friederici aus. Der Haushalt werde erst am 19. Dezember endgültig verabschiedet. Wesener weist schon mal darauf hin, dass Chialo bei Tagesordnungspunkt 4 („Auflösung der Pauschalen Minderausgabe“) nicht so leicht davonkommen werde. Hatte der Senator doch noch einmal gesagt, die Dinge seien im Fluss, nichts sei endgültig beschlossen. Die unmissverständlichen Ansagen des Finanzsenators scheint er nicht zu hören, oder nicht ernst zu nehmen.
Nun aber Punkt 4, auf Antrag der Bündnisgrünen, das drastische Sparprogramm. Wenn es umgesetzt wird, „werden wir die Kulturmetropole, so wie wir sie kennen, künftig nicht mehr vorfinden“, sagt Wesener, dem dem Kultursenator dramatische Versäumnisse vorwirft. Dass der Gesamtetat um drei Milliarden Euro überzeichnet ist, sei seit einem Jahr bekannt. Er hofft zumindest noch auf interne Umschichtungen im Kulturetat, „um das Allerschlimmste zu verhindern“.
Chialo hält dagegen: Es hätte noch deutlich härter kommen können. „Sind wir damit zufrieden? Natürlich nicht.“ Aber alle müssten sich den Realitäten stellen. Die Regel des guten Haushaltens in besseren Zeiten für die schlechteren Zeiten sei in der Kultur nicht beachtet worden. Auch nicht vom damaligen Finanzsenator Daniel Wesener.
Wir haben hier eine Größenordnung zu stemmen, über die eine Bundesregierung geplatzt ist.
Kultursenator Joe Chialo
Weiter im Schlagabtausch: Wesener spricht nicht von Rasenmäher, sondern von Heuschredder, rechnet vor, dass unter Einbeziehung von Kostensteigerungen, Inflation und mehr der Kulturetat eigentlich um 20 Prozent gekürzt sei. Chialo spricht hingegen von 950 Millionen Euro, die bleiben, „immer noch ein Rekordhaushalt“. Der Untergang der Kultur stehe nicht bevor.
Ohnehin möchte er sich nicht an den Polemiken beteiligen, „die Erregungs-Tsunamis helfen nicht weiter“. Als besonders schmerzhaft nennt der Senator unter anderem den Wegfall des eintrittsfreien Museumssonntags, die Kürzungen beim Arbeitsraumprogramm, bei Draußen-Stadt und Musicboard sowie die Sanierungsverschiebung bei der Komischen Oper. Und auch die Härten fürs Deutsche Theater, die Schaubühne oder das Theater an der Parkaue.
„Wir haben hier eine Größenordnung zu stemmen, über die eine Bundesregierung geplatzt ist“, sagt Chialo nicht zum ersten Mal. Er schlägt vor, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, Zentralisierungen wie bei der Opernstiftung auch bei den Bühnen oder den Sammlungsbeständen anzugehen und über Kreditfinanzierungen nachzudenken. Auch dem Clubsterben will Chialo nicht tatenlos zuschauen. Warum nicht eine „Resilienz-Konferenz“, um den Umgang mit geringeren Mitteln besser zu stemmen?, fragt er.
Unmutsbekundungen, Schuldzuweisungen, Turbulenzen
Manuela Schmidt von der Linken lenkt das Augenmerk nochmals auf die Komische Oper. Sie fordert Chialo auf, sich ehrlich zu machen und nicht von zwischenzeitlicher Verzögerung zu sprechen, sondern von der Gefahr eines Aus für das erfolgreiche Musiktheater. Der Senator hingegen bittet die versammelten Kulturpolitiker darum, sich mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Lage ehrlich machen. Seit bald drei Jahren Krieg in Europa, die Sorge um die Flüchtlinge, Entlassungswellen in der Industrie, kein Wirtschaftswachstum in Deutschland: Es sei zu wenig Vorsorge betrieben worden, jetzt müsse von allen der Sparmuskel trainiert werden.
Was Daniel Wesener nur dazu bringt, Chialo das gebrochene Versprechen eines Nicht-Baustopps bei der Komischen Oper vorzuwerfen, ebenso die irreparable Zerstörung hauptstädtischer Strukturen. Anhand zahlreicher Einzelposten rechnet er dem Senator Ungereimtheiten, Absurditäten und dramatische Folgen für die Betroffenen vor, vom Silent Green über die Kulturprojekte GmbH bis zum Schinkel-Pavillon.
Zwischenrufe, Beifalls- und Unmutsbekundungen, Schuldzuweisungen, kleine Turbulenzen: Auch bei der anschließenden Diskussion geht es im Ausschuss hoch her. Melanie Kühnemann-Grunow von der SPD findet immerhin beschwichtigende Worte. Alle hätten ihren Anteil an der Katastrophe. Und, mit Blick auf die Freie Szene und die kleineren Häuser: Die Koalition habe durchaus den Versuch unternommen, breite Schultern etwas mehr zu belasten als die schmalen. Wie Chialo verspricht sie wenigstens kleinere Reparaturen.
Die nächste Protestaktion ist bereits angekündigt. Für Freitag, den 29. November, lädt die Kulturszene zum Trauermarsch unter dem Motto „Berlin Sold Out“, auf prominenter Strecke vom Neptunbrunnen über den Boulevard Unter den Linden bis zum Brandenburger Tor (ab 15 Uhr).