Film über eine deutsch-französische Mädchenfreundschaft: Die überforderte Jugend
Die 17-jährige Fanny geht mit schwerem Gepäck durchs Leben. Schüchtern, in der Schule gemobbt, mit einem Vornamen gestraft, der Gemeinheiten provoziert, allergisch auf Nüsse. Um eine Zeitlang der Kontrolle ihrer besorgten Mutter zu entfliehen, nimmt sie an einer Schülersprachreise nach Deutschland teil. Doch als die Französin in Leipzig bei der Gastfamilie ankommt, zeigt sich ihre Austauschpartnerin Lena nicht an Austausch interessiert.
Auch Lena (Josefa Heinsius), bei „Friday for Futures“ engagiert und anders als Fanny (Lilith Grasmug) politisch interessiert und rebellisch, schleppt einiges mit sich herum: Angst vor der Zukunft, vor Putin, dem Krieg, dem Klimawandel, davor, alt und feige zu werden und nichts ändern zu können. Das familiäre Klima ist ebenso aus dem Gleichgewicht. Ihre Mutter Susanne (Nina Hoss) schlingert seit der Trennung von ihrem Lebensgefährten am Rande des Nervenzusammenbruchs, der Opa ist ostalgisch und zudem AfD-Wähler.
Überforderung ist ein Wort, dass beide Teenagerinnen für ihr gegenwärtiges Empfinden wiederholt in Anspruch nehmen. Es ist ja auch alles ganz schön viel. Claire Burgers „Langue Étrangère“ (Fremdsprache), den der deutsche Verleih nach der Erstaufführung bei der Berlinale nun unter dem etwas umständlichen Titel „Tandem – In welcher Sprache träumst du?“ ins Kino bringt, ist dabei selbst ein Symptom dieser Überforderung.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Als Lena einmal gefragt wird, für was sie sich später engagieren will, zählt sie auf: Degrowth, Ökologie, Solidarwirtschaft, Tierschutz, Neofeminismus, der Kampf gegen Faschismus. „C’est beaucoup“, meint ihr Gastvater.
Ein bisschen Anti-alles
Um Lena für sich zu gewinnen, fabuliert die emotional labile Fanny bald noch ein paar spektakuläre Probleme hinzu: eine schwangere Freundin, die nicht abtreiben darf, eine Halbschwester – „sehr links, sehr radikal, libertär, anarchistisch, antikapitalistisch – ein bisschen anti-alles“ –, die plötzlich verschwunden ist.
Lenas anfängliche Reserviertheit weicht Interesse und Bewunderung. Die Antifa- und Black-Block-Geschichte umgibt Fanny mit einem plötzlichen Schillern. Die Story hat sogar ein paar Cliffhanger und setzt, zurück in Frankreich, eine energische Suche der Freundinnen nach der Vermissten in Gang.
„Tandem – in welcher Sprache träumst du?“ erzählt von den Schwierigkeiten der Kommunikation in einer Zeit, die mit dem Begriff Krise schon längst in eins gefallen ist. Von Verwirrung, Zukunftsangst und den Wegen und Umwegen, sich mitzuteilen.
Claire Burger, aufgewachsen in Forbach in Lothringen, wählt dafür ein deutsch-französisches Setting an zwei historisch bedeutsamen Orten: Leipzig und Straßburg. Sie sind im Film aber weniger Schauplatz als Stichwortgeber. Lenas Mutter ist bei den Montagsdemos mitmarschiert, Fannys Eltern (Chiara Mastroianni, Jalal Altawil) arbeiten für das Europaparlament als Dolmetscher.
So wie die Figuren ständig Problemfelder aufzählen, so folgt auch der Film einem additiven Prinzip. Nahezu jedes aktuelle Diskursthema wird aufs Tapet gebracht und angerissen: Wiedervereinigung, die Aneignung der „Montagsdemos“ durch rechte Kräfte, Rassismus, Polizeigewalt, Klimakrise, Europa und so weiter.
Eine Szene spielt tatsächlich im Geschichtsunterricht, eine Lehrerin hält einen Vortrag über die Friedliche Revolution und wischt dabei über ein digitales Whiteboard. Aber auch außerhalb des Klassenzimmers wird doziert.
Mehr ins Fließen kommt der Film in der Geschichte einer im Wechsel der Sprachen erwachenden lesbischen Liebe. In den wirklichkeitsentrückten, nah am Teenagerkörper inszenierten Szenen – psychedelische Pilze haben darin ihren Anteil – macht sich dann auch die Mitarbeit von Léa Mysius’ („Ava“) am Drehbuch bemerkbar. Der Raum gehört jetzt allein Fanny und Lena. Das Politische ist daraus nicht verschwunden, sondern eine verbindende, wenn auch schwer greifbare Kraft.