„Wochniks Wochenende“: Wenn Kulturpolitik wie 1933 klingt

Als „entartet“ bezeichneten die Nazis Musik, die sie ästhetisch und intellektuell überforderte. Was ihnen nicht vertraut und gefällig genug klang, nicht heimatlich und selbsterklärend, nicht ihrem Idealbild von völkischer, arischer Kunst entsprach, diffamierten sie als entartet, verboten es und verfolgten die Schöpfer. Die jüdischen unter ihnen ermordeten sie. Die, die nach ihrer eigenen Terminologie nichtarisch waren, verbannten und unterdrückten sie, entzogen ihnen die Lehrberechtigungen, radierten ihre Musik aus den Programmen der Konzerthäuser aus.

Sie beraubten die Künste so systematisch ihrer Fähigkeit, Kritik zu üben, dringlich zu sein. Platte Gefälligkeit, dekorative Bestätigung der bestehenden, faschistischen Ordnung sollten die Künste unter den Nazis leisten.

„Kein Geld für antideutsche Kunst“

Im Oktober 2021 versuchten AfD-Politiker, das Impuls-Festival für Neue Musik in Sachsen-Anhalt zu verbieten. Die Neue Musik war ihnen ein derartiger Dorn im Auge, dass die Streichung des Festivals sogar im Parteiprogramm mit einigen Zeilen vermerkt wurde. „Kein Staatsgeld für antideutsche Kunst“ hieß es darin.

Der Berliner Künstler und Musiker Hainbach verarbeitete Aufnahmen von Reden von AfD-Politikern über die Neue Musik in einer Klanginstallation auf dem Festival, das trotz der Einwände der AfD stattfand. Um es kurz zu machen: Es klang wie 1933. Das Impuls-Festival fand damit zum letzten Mal statt. Im Jahr darauf strich der Senat die Förderung und versprach, künftig kleine, dezentrale Projekte mit dem Geld zu fördern. Statt kleiner Projekte, förderte er dann aber ein neues Festival: Das KlangArt-Vision. Auf dem Programm: neue, gefällige Neoklassik.

Blick in den Innenraum der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Hier spielt Freitagabend das Eröffnungskonzert.

© Thilo Rückeis TSP

Und weil die Kulturpolitik dort schon 2021 klang wie 1933 – und erst recht nach der aktuellen Europawahl –, erscheint die Arbeit des Vereins musica reanimata heute umso wichtiger. Es geht um die Pflege und Wiederaufführung der Musik von Komponierenden, die zur NS-Zeit unterdrückt, verfolgt, ermordet wurden.

Drei Tage Festival zur Erinnerung

Dieses Wochenende veranstaltet musica reanimata ein Festival, das Freitag, 18 Uhr, in der Gedächtniskirche beginnt: Nach Leoš Janáčeks „Orgelsolo aus der Glagolitischen Messe“ spielt Sebastian Heindl „Zwei Fantasien für Orgel op. 32“ von Miloslav Kabeláč von 1958, sowie ebenfalls dessen „Vier Präludien für Orgel op. 48“ von 1966. Anschließend singt der Männerkammerchor „ffortissibros“ die im Prager Widerstand geschriebenen „Sechs Männerchöre nach Worten von Jiří Wolker op. 10“ (1939-42) und das Wiegenlied (1945), ebenfalls von Kabeláč. Zum Schluss spielt nochmals Heindl auf der Orgel, und zwar Ausschnitte aus der Musica dominicalis (Sonntagsmusik) des Theresienstadt- und Buchenwald-Überlebenden Petr Eben.

Das erste der drei Gesprächskonzerte in der Staatsbibliothek, am Samstag um 15 Uhr, gilt dem Dvořák-Schüler und Prager Widerstands-Aktivisten Rudolf Karel, der die Haft im Gefängnis „Kleine Festung“ in Theresienstadt nicht überlebte. Jan Dušek am Klavier und der Tenor Ondrej Holub bieten Klavierwerke und Lieder dar, anschließend beleuchten Albrecht Dümling und Magdalena Živná den Komponisten im Gespräch.

Das zweite Konzert, Samstag, 18.30 Uhr, befasst sich mit Petr Eben, dem als „Halbjuden“ der Zugang zur Schule verwehrt wurde, der zur Zwangsarbeit verpflichtet, im Ghetto Theresienstadt, dann im KZ Buchenwald interniert wurde – und der überlebte. Das Martinů Quartett, sowie Robert Kolinsky (Klavier), Markéta Janoušková (Violine) und Simone Drescher (Violoncello) spielen seine Kammermusik, Bettina Brand spricht im Anschluss mit seinem Sohn, dem Musikwissenschaftler David Eben.

Im dritten Konzert schließlich spielen ebenfalls Kolinsky, Janoušková und Drescher Kammermusik des Prager Dirigenten, Komponisten und Widerstands-Aktivisten Miloslav Kabeláč, es sprechen Stefan Lang und Elisabeth Hahn.