„Gut gemeint ist oft das Gegenteil von Kunst“: Neues Gutachten zu Antisemitismusklauseln

Es ist ruhig geworden um die sogenannte Antidisikriminierungsklausel, aus gegebenem Anlass auch häufig Antisemitismusklausel genannt, die der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) zum Ende des vergangenen Jahres bei der Vergabe von Kulturfördergeldern eingeführt und nur wenige Wochen später nach viel Kritik wieder zurückgezogen hat. Gescheitert ist das Projekt noch nicht. Aktuell wird senatsübergreifend daran weitergearbeitet, unter Federführung der Justizverwaltung und der Verwaltung für Arbeit und Soziales.

Dass die Kulturlandschaft, und nicht nur die der Hauptstadt, spätestens seit dem Angriff der Hamas auf Israel im vergangenen Oktober unter besonderer Beobachtung steht und sich dort weiterhin Handlungsbedarf aufdrängt, ist allerdings unbestreitbar.

Wie es um den rechtlichen Rahmen von präventiven Maßnahmen à la Antidiskriminierungsklausel bestellt ist, darüber gibt nun ein Gutachten Aufschluss, das Claudia Roth (Grüne) in ihrer Funktion als Bundesbeauftrage für Kultur und Medien in Auftrag gegeben hat. Die Einschätzung über die Zulässigkeit solcher Schritte zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in der staatlichen Kulturförderung stammt vom renommierten Verfassungsrechtler Christoph Möllers, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt.

Klauseln sind verfassungsrechtlich möglich

Das Ergebnis ist einigermaßen eindeutig: Möllers hält derartige Vorhaben in ihren bisherigen Ausgestaltungen aus verschiedenen Gründen juristisch für problematisch beziehungsweise in der Sache für wenig zielführend.

Dem parlamentarischen Gesetzgeber, so schreibt Möllers in seinem Ergebnis, das dem Tagesspiegel vorliegt, sei es zwar „verfassungsrechtlich grundsätzlich möglich, die Vergabe staatlicher Mittel sowohl an öffentliche Kulturinstitutionen als auch an private Künstlerinnen und Künstler durch eine Verpflichtung gegen Antisemitismus und Rassismus zu ergänzen“. Tatsächlich macht der Jurist sogar einen „allgemeinen Trend“ aus, „staatliche Fördermaßnahmen an weitere politische Ziele zu binden“.

Die Entscheidung für ein solches Instrument sollte sich laut Möllers „bei allem verständlichen politischen und moralischen Gram über die dramatische Zunahme eines offenen Antisemitismus im Kulturbetrieb aber nicht auf die Feststellung beschränken, dass dessen Bekämpfung ein richtiges Ziel ist.“ Auch in der Rechtspolitik sei „gut gemeint“ oft das Gegenteil von Kunst.

Warnung vor einem „Paradigmenwechsel“

Möllers gibt zu bedenken, dass die Gefahr einer „Politisierung der Entscheidungspraxis“ bestehe. Er weist darauf hin, dass gerade in Deutschland, wo der Staat bei der Kulturförderung eine Art Monopolstellung innehabe, das Vertrauen der staatlichen Stellen, also der Förderer, in die von ihm geförderten Institutionen und Personen von besonderer Bedeutung sei. Ob Vertrauensbrüche der jüngeren Vergangenheit – hier könnte wohl das Beispiel Documenta 15 angeführt werden – einen „Paradigmenwechsel“ rechtfertigten, den solche präventiven Verpflichtungen nach Möllers‘ Einschätzung bedeuten würden, stellt der Jurist scharf infrage.

Ungeachtet dieser grundlegenden Bedenken kritisiert Möllers auch die mangelnde Auseinandersetzung der Politiker mit der Durchsetzbarkeit der Maßnahmen. „Wer kontrolliert, ob Angaben stimmen, wer entscheidet über die Rücknahme mit welchem Ermessen?“, fragt der Verfassungsrechtler. Der „potenzielle Raum für eine beträchtliche nachgelagerte Kontrolle des gesamten öffentlichen Kunstbetriebs“ begründe „nachvollziehbares Unbehagen“. Von „durchdachten Regelungen“ könne man „auch bei Sympathie für das Anliegen in der Sache nicht sprechen“.

Das Gutachten dürfte auch für die Arbeit im Berliner Senat Konsequenzen haben. Eine dahingehende Anfrage an die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt blieb bislang unbeantwortet.