Offener Brief gegen Chialos Antisemitismus-Klausel: Kulturschaffende sehen die Kunstfreiheit gefährdet
Ab sofort kann in Berlin nur noch Kulturfördergelder bekommen, wer sich offiziell gegen Diskriminierung und Antisemitismus bekennt. Das gab die Kulturverwaltung am vergangenen Donnerstag bekannt – wohl auch als Reaktion auf den Streit um das Neuköllner Kulturzentrum Oyoun, dessen Förderung der Senat nach Antisemitismus-Vorwürfen zum Ende des vergangenen Jahres auslaufen ließ.
In einem offenen Brief mit dem Titel „Für die Wahrung von Kunst- und Meinungsfreiheit“ protestieren nun „Berliner Kulturproduzent*innen aller Sparten“ gegen die neue Klausel. Seit dem vierten Januar haben über 1900 Menschen unterschrieben, darunter die Autorin Deborah Feldman und die Künstlerin Candice Breitz.
Die Verfasser kritisieren unter anderem, dass sich die neue Klausel auf die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) bezieht. Diese Entscheidung der Senatskulturverwaltung erkenne nicht an, dass es eine kontroverse Debatte um die Antisemitismus-Definition der IHRA, sowie eine von internationalen Wissenschaftler*innen erarbeitete Alternativ-Definition, die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, gebe. „Letztere wurde explizit in der Absicht verfasst, einer missbräuchlichen politischen Instrumentalisierung von Antisemitismus-Zuschreibungen entgegenzutreten und reagiert auf Unklarheiten innerhalb der IHRA-Definition.“, heißt es in dem Brief.
Die Verfasser werfen der Senatsverwaltung einen Eingriff in die Grundrechte vor
Zudem monieren die Kulturschaffenden, dass die Aufnahme dieser spezifischen Antisemitismusklausel als rechtsverbindliche Voraussetzung für Kulturförderungen ohne eine vorherige offene Debatte oder Konsultation oder eine andere transparente Entscheidungsfindung insbesondere mit betroffenen Personen, Verbänden und Institutionen durchgeführt worden sei. „Dieses Verständnis von Meinungs- und Kunstfreiheit ist zutiefst undemokratisch! Die Senatskulturverwaltung verkennt, dass ein erzwungenes Bekenntniss ein Eingriff in die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte ist“, heißt es weiter.
Man befürchte, „dass Bekenntnisklauseln, wie sie hier vorgelegt werden, einzig dazu dienen, eine verwaltungsrechtliche Grundlage für Ausladungen und Absagen von Veranstaltungen mit israel-kritischen Kulturarbeiter*innen zu schaffen“. Das betreffe auch „jüdische Kulturschaffende in Deutschland, die sich mit Palästina solidarisieren, sich für Dialog und Friedenslösungen einsetzen, und die hier von nicht-jüdischen Deutschen mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert werden“. Die Senatskulturverwaltung trage mit ihrem Vorhaben zu einer Zuspitzung der „aggressiven und oft unsachlichen öffentlichen Debatte und zur Vertiefung gesellschaftlicher Spaltung bei“.
Der Kultursenator Joe Chialo sieht das freilich anders. „Kunst ist frei! Aber nicht regellos“, schrieb er in seiner Ankündigung der „Antidiskriminierungsklausel“. Kulturinstitutionen sowie fördernde Stellen seien verantwortlich dafür, dass „mit öffentlichen Geldern keine rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen oder anderweitig ausgrenzenden Ausdrucksweisen gefördert werden“. Dies wolle man mit der nun umgesetzten Maßnahme gewährleisten.