Prozess gegen Gil Ofarim: Wenn das Urteil das Vorurteil besiegen soll

Der Prozess gegen Gil Ofarim begann am 7. November, vier Wochen zuvor hatte die terroristische Hamas in Israel ein Massaker angerichtet und mehr als 200 Menschen als Geiseln genommen hatte. Zwischen beiden Ereignissen bestand kein Zusammenhang, trotzdem wurde er evident, der Prozess in Leipzig ein weiteres Mal aufgeladen. Es ging um nicht weniger als Antisemitismus und seinen Umgang damit. Ofarim selbst hatte die Karte 2021 gezogen, als er behauptete, ein Hotelangestellter hätte ihn aufgefordert, seinen Davidstern abzulegen, anderenfalls würde er nicht eingecheckt. Ein Video mit ebendiesem Inhalt hat er verbreitet.

Opfer? Täter?

Danach war kein Halten: Sachsen, Jude, Davidstern, ein antisemitischer Vorgang – nichts fehlte, um den Fall zum Präzedenzfall zu nehmen, wie Juden in Deutschland leben, was zu sie zu erleiden hätten. Gesellschaft, Politiker, Medien reagierten dünnhäutig. Da war der Beweis, da war das Exempel, Gil Ofarim stand für den neuen, alten Antisemitismus. Wild ging es hin und her, wer war Opfer, wer war Täter, besonders in den sozialen Medien schossen die Erregungskurven nach oben.

Vor dem Leipziger Landgericht wurde die Frage verhandelt, was wirklich in der Hotellobby passiert ist. Indizien wurden auf ihre Beweiskraft hin überprüft, selbst die Szene beim Einchecken wurde nachgestellt. Da fand etwas statt, was in weiten Teilen der Öffentlichkeit nicht mehr stattfindet: die konzentrierte, aufwendige, unaufgeregte Suche nach der Wahrheit des tatsächlich Geschehenen. Genau darin liegt das Bemerkenswerte, da nicht das schnelle Urteil, das Vorurteil gesucht wurde, sondern das Urteil, das dem Vorgang angemessen war.

Der Prozess als Antithese zur allgegenwärtigen Reaktions- und Agitationspraxis. Was da in Leipzig gelang, noch bevor Gil Ofarim den Notausgang nahm mit seinem Geständnis, einen antisemitischen Vorfall erfunden zu haben, nimmt sich beruhigend aus. Der Weg zur Wahrheit, so lange, so kurvig, so mühsam er auch sein mag, lohnt sich.

Der Prozess in Leipzig ist beendet. Gil Ofarim wird als Täter in Erinnerung bleiben, er wird damit umgehen und leben müssen.

Aber das kann nicht das alleinige Resümee sein, das geht anders: Gerade beim toxischen A-Begriff braucht es Geduld und Zeit, bis die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit seiner Verwendung festgestellt ist, von welcher Seite auch immer.

Und über den besonderen Augenblick von Leipzig hinaus gilt, was der Vorsitzende Richter Stadler sagte: „Eines bleibt, wie es war: Antisemitismus ist eine Tatsache, der Kampf dagegen ist eine Aufgabe. Die Sitzung ist geschlossen.“