Kriminalroman „Filmriss“: Ein hinreißender Gebrauchtwagenverkäufer

Eine Frage, die früher einmal über das Schicksal von amerikanischen Politikern entscheiden konnte, lautete: „Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?“ Die Demokraten setzten sie 1960 auf ein Wahlkampfplakat neben ein verschlagen grinsendes Abbild des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Richard Nixon. Nixon, der wegen seiner windigen Art auch „Tricky Dick“ genannt wurde, verlor knapp gegen John F. Kennedy. Neun Jahre später zog Nixon doch noch ins Weiße Haus ein, aber seine Präsidentschaft sollte im Lügensumpf des Watergate-Skandals enden.

Richard Hudson ist ein Gebrauchtwagenhändler, wie man ihn sich klischeehafter kaum vorstellen kann: Äußerlich seriös auftretend, wird er innerlich von der puren Gier angetrieben. Nicht nur, dass er auf den Cent genau den Wert jedes Autos kennt, das in den letzten dreißig Jahren produziert wurde. Er weiß auch auf den Cent exakt, „wie viel mehr als den tatsächlichen Wert ich aus jedem herauskitzeln konnte, der blöd genug war, einen Gebrauchtwagen von mir zu kaufen“.

Hudson ist der Held von Charles Willefords Romans „Filmriss“, der nun als deutsche Erstausgabe im kleinen, auf Noir-Thriller spezialisierten Berliner Verlag Pulp Master herauskommt. Das US-Original war im Nixon-vs.-Kennedy-Jahr 1960 unter dem Titel „The Woman Chaser“ erschienen. Es ist die Zeit eines langanhaltenden Wirtschaftsbooms, und besonders groß sind die Chancen, davon zu profitieren, in Los Angeles. Tag für Tag strömen 200 Familien in die Stadt, und weil die Wege in der ausfransenden Stadt immer länger werden, braucht jeder Erwachsener dort ein eigenes Auto.

Hudson war in San Francisco zum Top-Verkäufer im Gebrauchtwagengeschäft von „Honest“ Hal Parker aufgestiegen, und hat von ihm 40.000 Dollar bekommen, um in Los Angeles, wo er aufgewachsen ist, eine Filiale zu gründen. Das Leben dort findet er „unerquicklich“, und einen anderen Grund als Geld zu machen, um dort hinzuziehen, „kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“.  Er sieht sich als „Mann der Ideen“ und entwirft nicht nur das Leuchtreklameschild für das Verkaufsgelände, sondern schreibt auch Radio-Werbespots, in denen ein Mädchenchor verräterisch säuselt: „Willst du einen ehrlichen Diebstahl, einen ehrlichen Deal / Komm zu Honest Hal.“

Der Ich-Erzähler des Romans ist ein Kontrollfreak, Narzisst und Schwätzer, er verkörpert auf unsympathischste Weise den American Way of Life. Wenn Hudson sagt, er habe „ein gutes Gespräch“ geführt, heißt das, dass jemand seinen ausufernden Monologen zugehört hat, bei denen sich Karrieretipps, Kunstbetrachtungen und Kalenderweisheiten mischen. Als sein „einziges Problem“ sieht er ausgerechnet sein „Mitgefühl für andere“. In Wirklichkeit hat er eine ausgeprägte sadistische Ader.

Seine Verkäufer lässt Hudson mitten im Sommer in Weihnachtskostümen auf dem Firmengelände schwitzen, damit sie Aufmerksamkeit erregen. Die Menschheit unterteilt er sozialdarwinistisch in wenige „Checker“ – Musterbeispiel: er selbst – und das Millionenheer der „Schwachköpfe“. Und bis auf seine Mutter, eine Ex-Ballerina mit immer noch „erstaunlichster Figur“, in deren Haus er unterkommt, hält er alle Frauen für „Schlampen“.  

Berühmt geworden ist Charles Willeford erst gegen Ende seines Lebens mit der vierteiligen Thriller-Serie um den runtergekommenen Detektiv Hoke Moseley vom Miami Police Department. Dass die Verfilmung seines Romans „Miami Blues“ mit Alec Baldwin in der Hauptrolle 1990 ins Kino kam, hat er nicht mehr erlebt. Willeford erlag 1988 mit 69 Jahren einem Herzinfarkt. Zuletzt kamen mehrere seiner früheren Werke in Deutschland heraus, darunter „Hahnenkämpfer“, ein knallhart realistischer Hardboiled-Krimi. In der Adaption des New-Hollywood-Regisseurs Monte Hellman hatte der Schriftsteller eine kleine Rolle.

Mit „Filmriss“ beweist Willeford, dass er auch das Genre der Groteske beherrscht. Denn mehr als vom Reichtum träumt der kotzbrockige Gernegroß Hudson vom Ruhm. Er will einen eigenen Film ins Kino bringen, wobei ihm sein Stiefvater Leo „Pop“ Steinberg helfen soll, der einst ein Hollywood-Regiewunderkind war, seit dem Flop seines letzten Films aber als Kassengift gilt. Pop ist pleite und hat seinen Telefonanschluss abgemeldet. Ein Filmstudio würde sowieso nicht anrufen.

Beiden gelingt es tatsächlich, einen Hollywood-Mogul für ihr Projekt zu interessieren. „Der Mann, der davonkam“, heißt der Low-Budget-Film, den Hudson nach seinem eigenen Drehbuch inszeniert. Er handelt von einem LKW-Fahrer, der ein Kind überfährt und sich anschließend auf dem Highway 101 eine Verfolgungsjagd mit der Polizei liefert. Steven Spielberg hat zehn Jahre später aus einer ähnlichen Idee den Tanklaster-Thriller „Duell“ gemacht.

Der Roman „Filmriss“ wirkt selbst fast wie ein Film. Zwischenüberschriften lauten „Exposition“, „Abblende“ oder „Schnitt auf:“, und wenn Hudson beim Erzählen abschweift, ermahnt er sich: „Ich muss mit meiner Geschichte vorankommen.“ Kunst, die keine Botschaft hat, hält er für „bedeutungslos“. Hudson sieht sich als Aufklärer, sein Film soll den Kapitalismus entlarven. Sein Held, der Truck-Fahrer, rebelliert gegen die Verhältnisse, in denen – so der Regisseur – Arbeiter Gefangene sind und gleichzeitig, weil sie sich dessen nicht bewusst seien, „ihre eigenen Gefängniswärter“.

Zum Krimi wird der Roman erst spät, als Hudson Geld von seinem Chef unterschlägt, um es in den Film zu stecken. Doch als „Der Mann, der davonkam“ fertig ist, will der Studioboss, der ihn produziert hat, den Film nicht ins Kino bringen, sondern ans Fernsehen verkaufen. Hudson ist wütend und beginnt einen Rachefeldzug. „Die Realität stinkt“, weiß er nun. „Der Traum ist besser.“