Raus mit Applaus: Georgien verliert – aber gewinnt Herzen

Am Ende eines stürmischen Abends standen die Georgier im strömenden Regen vor ihren Fans und machten das sogenannte “Thunderclap”. Genauso wie damals Island, das 2016 auch als EM-Neuling überrascht und die Herzen vieler Neutralen gewonnen hatte. Acht Jahre später war nun Georgien dran. Ein Land, das von Reykjavik kaum weiter entfernt sein könnte, aber auf ähnliche Art und Weise EM-Geschichte geschrieben hat. 

„Wir sind natürlich traurig, dass wir verloren haben. Aber wir müssen auch die Zeit nehmen, um zu kapieren, was wir geschafft haben“, sagte Trainer Willy Sagnol, nachdem Georgien in Köln mit einem tapferen 1:4 gegen Spanien aus der EM verabschiedete. „Ich bin sehr stolz auf das, was diese Spieler erreicht haben. Jetzt ist die Reise zu Ende.“

Aber was für eine Reise. Im ersten Spiel gegen die Türkei lieferten die Georgier das bis dahin wohl mitreißendste Spiel der EM. Im zweiten holten sie gegen Tschechien ihren allerersten Punkt bei einem großen Turnier. Im Dritten überfielen sie Portugal und Cristiano Ronaldo und feierten einen Sieg für die Ewigkeit. Auch im Achtelfinale gegen Spanien gingen sie zunächst mal in Führung, und konnten kurz sogar von dem ganz großen Fußball-Märchen träumen.

EM-Sensation der besonderen Art

Am Ende kam es so nicht. Und trotzdem darf sich Georgien unter den größten Sensationen der EM-Geschichte zählen. Zwar schafften sie es nicht so weit wie damals Dänemark, Griechenland, Island oder Wales. Eine Geschichte wie diese sucht dennoch ihresgleichen. 

Da wäre zum Einen schon der politische Kontext. Dass ein Land wie Georgien auf einer großen europäischen Bühne mit- und aufspielt, wo Russland auch noch ausgeschlossen ist, hat an sich eine riesige Symbolkraft. Dass die zuletzt heftigen Proteste gegen die eigene Regierung in den letzten Wochen zu Straßenpartys wurden, ebenso. Über die politische Bedeutung dieser Mannschaft ist in den letzten Wochen entsprechend viel geschrieben und gestritten worden. 

Ob das Fußball-Märchen das Land tatsächlich zusammen- oder weiterbringt, ist eine andere Frage. Nur, weil Sport politisch ist, heißt das nicht, dass man mit Sport vernünftig Politik machen kann. Die alten Probleme dieser so stolzen Republik bleiben auch nach dem EM-Erfolg, und morgen sind die Politiker wieder dran. 

Außenseiter mit Olé-Fußball

Der Job eines Fußballers ist es hingegen, Unterhaltung zu bieten. Und das hat Georgien geschafft wie kein Außenseiter zuvor. Anders als frühere EM-Underdogs hatten sie nicht mit Kampfgeist, Glück und defensiver Stabilität Erfolg, sondern auch mit einem vollkommen anachronistischen Olé-Fußball. Nach jedem hart erkämpften Ballgewinn wurde zwar schnell und effektiv, aber eben auch frech und artistisch gekontert: mit einer Hacke, einem Lupfer oder einer raffinierten Außenrist. 

Wo die Isländer das rhythmische, choreografierte Donnerklatschen hatten, hatte Georgiens Außenseiter-Geschichte einen ganz anderen Sound. Ein wilder Urschrei, der bei jeder Parade Giorgi Mamardashvilis, jedem Zweikampf Guram Kashias und jedem Dribbling Kvicha Kvaratskhelias ertönte.

Vor allem war er immer wieder dann zu hören, als Georgien sich erneut von einer hoffnungslosen Situation befreite und wieder nach vorne strömte. Richtung Tor und Richtung Fanblock, wo das ganze Turnier lang ein englisches Wort auf einem großen Banner zu lesen war: “Believe”. 

Zum Achtelfinale in Köln hatten georgische Fans Sprungbänder mit der Aufschrift „Believe“ angehangen.

© dpa/David Inderlied

„Auch heute dachten wir vor dem Spiel, dass wir eine Chance hatten“, sagte Sagnol nachher über diesen sturen Glauben an das Unmögliche. Bis zur 39. Minute war dieser Glaube sogar berechtigt, als auch Spanien sich mit der Mut und Adrenalin ihres Gegners hadern musste. Dann aber schoss Rodri ein Traumtor, während Georgiens Mittelfeld-Magiker Otar Kiteishvili verletzt zu Boden ging und ausgewechselt werden musste. „In diesen 20 oder 30 Sekunden haben wir viel verloren“, lamentierte Sagnol nachher. 

Man muss aber nicht gewinnen, um unsterblich zu werden. Auch nach der klaren Niederlage in der zweiten Halbzeit in Köln überwog das Gefühl, dass Georgien hier etwas viel Größeres geschafft hat als einen bloßen Titel.

Sie hatten eine neue, vormals undenkbare Ära eingeleitet, in der Georgien als eine Mannschaft für die ganz große Bühne gelten kann. Als die Journalisten direkt nach dem Spiel schon wegen der WM 2026 fragten, bremste Sagnol zwar, aber mit einem Lächeln auf den Lippen. 

„Wir haben gegen die besten Spieler und Mannschaften der Welt gespielt, und den georgischen Fans die Möglichkeit gegeben, hierhin zu reisen und in solchen Stadien die Nationalhymne zu singen“, sagte er. „Ab morgen werden wir uns sicherlich alle nur eines wünschen: wieder da zu sein.“