Krafttraining für Queers: „Plötzlich gehen die Menschen aufrechter durch die Welt“
Evelyn Bastian, was ist der Unterschied zwischen Ihrem „Queer Power Training“ und einem herkömmlichen Krafttraining?
Für jeden Menschen gelten die gleichen Trainingsprinzipien. Aber für queere Menschen gibt es wenige Vorbilder in der Fitnesswelt, die gendermäßig immer noch sehr stark getrennt ist. Da geht es bei Männern um Sixpacks und breite Schultern, bei Frauen um Bubble butts und muskulöse Beine.
Gerade Queers, die sich eher im Dazwischen sehen, können sich damit nicht identifizieren. Mit mir können sie entsprechend ihrer eigenen Vorstellungen arbeiten. Außerdem ist es mir wichtig, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, die richtigen Pronomen für die Leute zu benutzen und auf ihre Ängste in puncto Gym-Besuch einzugehen.
Ihr Training findet im Studio von Berlin Strength statt. Was ist das für ein Ort?
Berlin Strengh ist ein unabhängiges Studio, es gehört zu keiner Kette. Ursprünglich war es mal ein Powerlifting-Gym, hatte also eher eine Wettkampfstil-Ausrichtung. Es wird von einem Team geleitet – vier cis Frauen und ein cis Mann – die einen eher linken Anspruch haben und eine Gegenkultur zur üblichen Gym-Welt aufbauen wollen. So gibt es hier zum Beispiel eine All-Gender-Umkleide, wodurch schon mal eine Hürde wegfällt für Queers, die binäre Umkleiden schwierig finden.
Wie läuft es dann ab, wenn jemand zum ersten Mal bei Ihnen trainiert?
Zunächst füllt die Person online einen Fragebogen aus, damit ich schon mal weiß, in welche Richtung es gehen soll. Was sind die Ziele? Welche Erfahrungen sind vorhanden und welche Einschränkungen gibt es vielleicht. Danach führen wir noch ein Vorgespräch, entweder am Telefon oder vor Ort, bei dem ich nach den Gründen für den Trainingswunsch frage.
Durch das Krafttraining konnte ich zum ersten Mal eine positive Verbindung zu meinem Körper aufbauen.
Evelyn Bastian, Personal Trainer
Warum ist das wichtig?
Ich bekomme oft Antworten wie „Ich möchte stärker werden“. Dann frage ich weiter: Warum willst du denn stärker werden? Denn wenn man das nicht weiß, fängt man vielleicht mit dem Training an, bleibt aber nicht dran. Das innere Ziel zu kennen, ist zentral. Dass der Arzt oder die Ärztin es gesagt hat, genügt noch nicht. Aber wenn man merkt: Wow, ich gehe viel aufrechter oder meine Schmerzen nehmen ab, steigt die Motivation weiterzumachen.
Wie läuft eine Trainingsstunde ab?
Erst mal werden die Schultern locker gemacht, die Wirbelsäule bewegt, Hüfte, Beine, Knie. Weiter geht’s mit einem Warmup, bei dem man ein bisschen ins Schwitzen kommt. Dabei steuert man schon mal die Muskelgruppen an, die dann in den Hauptübungen benutzt werden. Anschließend geht es mit den Gewichten weiter und wird immer spezifischer.
Die Clients trainieren ein bis drei Mal pro Woche mit mir, um alle Übungen sicher und korrekt zu lernen. Nach einer Weile gehen sie zusätzlich ein oder zweimal pro Woche alleine ins Gym. So etablieren wir auf Dauer eine Routine, denn die ist das Wichtigste, um die Ziele zu erreichen und sie auch langfristig zu halten.
Wie sind Sie selbst zum Krafttraining gekommen?
Das ist schon fast 16 Jahre her. Ich sah im Fernsehen Hammerwerfen bei Olympia und die Frauen, mit denen ich mich da identifiziert habe, sahen ganz anders aus als die „fitten“ Menschen, die ich kannte. Die waren breiter, größer, hatten Muskeln, das fand ich faszinierend.
Eine Freundin, die früher Kugelstoßen im Verein gemacht hat, fragte dann, ob wir zusammen trainieren wollen. So ging es los, wobei ich durch das Krafttraining zum ersten Mal eine positive Verbindung zu meinem Körper aufbauen konnte. Ich fühlte mich stark und dachte: Das ist ja genial.
Wie sind Sie Coach geworden?
Ich kam 2018 zu Berlin Strength, habe Trainingsstunden bei Geschäftsführerin Nina genommen, die auch Trainerin ist. Dabei habe ich gelernt, wie eine Stunde aufgebaut wird, wovon ich heute noch profitiere. Dass ich dann Anfang 2023 dachte, ich mache mein Hobby zum Beruf, war irgendwie eine natürliche Entwicklung, denn ich bin ausgebildete Lehrkraft.
Mehr als zehn Jahre habe ich unterrichtet, zuletzt in einer Grundschule in Tempelhof. Die Erfahrung und die Teaching Skills benutze ich jetzt eben, um Menschen Krafttraining zu zeigen, statt Adjektive, Geometrie oder Musik. Das Schöne ist: Der Fortschritt zeigt sich schneller – und ich kann etwas für die eigene Community tun.
Wie ist das Feedback?
Bisher habe ich noch keine Person gesehen, die sich hier angemeldet hat und nach ein paar Wochen nicht ein Wunder erlebt hat. Das betrifft meist das eigene Denken und das Selbstbewusstsein. Die Leute merken, dass sie Dinge lernen können, dass sie aufrechter durch die Welt gehen – und plötzlich zwei Bierkästen ganz leicht hochheben können.