Jüdisches Leben in Berlin: Semantische Verbindungen

Als sogenannte „Berufsjüdin“ gibt es Fragen, die mir immer wieder begegnen. Eine davon ist zum Beispiel „jüdische Deutsche oder deutsche Jüdin?“. Während „jüdische Deutsche“ sich für mich anfühlt, wie Nägel auf einer Schultafel, empfinde ich „deutsche Jüdin“ als adäquate Beschreibung meiner Realität.

Die Jonglage zwischen Adjektiv und Substantiv ist so alt, wie deutsche (Un-)Schuldskultur und trotzdem bringt mich die Frage eines niederländischen Journalisten aus dem Konzept: Ob ich mich als Berliner Jüdin oder jüdische Berliner verstünde? Äh was? Um ehrlich zu sein, hatte ich bis dahin noch nie darüber nachgedacht. Ich tausche z.B. „lesbische Jüdin“ oder „jüdische Lesbe“ nach Belieben aus oder entscheide danach, was mehr Unbehagen erzeugt. Beides passt.

Ich bezeichne mich als Berlinerin und als Jüdin. Aber nie im gleichen Atemzug. Nie im Bezug aufeinander. Und die einzige Erklärung die ich habe ist: Berlinerin ist meine einzige ungebrochene Identität. Die einzige, die nie infrage gestellt wird. Mein Jüdisch-Sein: auf jeden Fall gebrochen.

Permanent versuchen Hinz und Kunz Jüd_innen das Jüdisch-Sein abzuerkennen. Wegen unserer Eltern, unserer Praxis (zu viel, zu wenig, nicht feministisch genug, zu feministisch), wegen unseres Aussehens, irgendjemand findet immer einen Grund. Alle Welt versucht sowieso ständig, Queers das Queer-Sein auszureden – als Lesbe brauche ich nur nen richtigen Kerl, nen richtigen Schwanz, ne gesunde Psyche.

Und gegen mein Deutschsein spricht an erster Stelle mein Jüdisch-Sein, weil Jüdisch ist fremd und fremd ist nicht arisch. Ich vermute das ist die Logik. Aber sobald Berlin auf Deiner Geburtsurkunde steht, bist Du Berlinerin. Noch nie habe ich jemanden sagen hören: „Wie kannst Du Berlinerin sein, Du bist doch Jüdin?“ Und ich weiß, dass rein logisch „Wie kannst Du Deutsche sein, Du bist doch jüdisch“ Berlin mit einschließen sollte, aber aus irgendeinem Grund ist Berlin für mich nicht Deutschland. Berlin ist Berlin.

Und obwohl ich weiß, dass mein Berlinerinsein, sehr durch mein Jüdisch-Sein geprägt ist und Berlin vermutlich viel Einfluss auf meine jüdische Perspektive hat, erscheint es mir unendlich naheliegender zu sagen: Ich bin ne Berliner Lesbe oder ne queere Berlinerin oder ich bin ne Berliner Rollstuhlfahrerin oder ne Highheels liebende Berlinerin oder oder oder, als mein Jüdisch-Sein und meine Berliner Identität in semantische Verbindung zueinander zu stellen.

Vielleicht bin ich auch die einzige Verbindung, die es braucht zwischen zwei starken, eigenständigen Substantiven: Jüdin und Berlinerin.