Kolumne „Berliner Trüffel“: Hans Uhlmanns Skulptur vor der Deutschen Oper
Die konservativen Klassikliebhaber waren entsetzt. Was sollte das denn sein: Da baut sich West-Berlin in Charlottenburg ein neues Opernhaus – und der Architekt Fritz Bornemann verweigert alles, was den festlichen Musiktheaterabend ausmacht? Keine Säulen vor dem Eingangsportal, keine Freitreppe, keine Putten oder wenigstens Statuen der antiken Musen, im Innern weder Kronleuchter noch Stuck. Die größte Frechheit aber war die Straßenfront: faustgroße Kiesel in Beton, auf einer Fläche von 16 mal 64 Metern.
Geduldig erklärte Bornemann, dass er in diesem Haus die Konzentration aufs Wesentliche fördern wolle – auf das Bühnengeschehen nämlich. Und dass die fensterlose Wand zur Bismarckstraße das Publikum nicht einenge, sondern schütze. Vor dem Lärm und der Hektik des Alltags draußen nämlich.
Pfeilartig schießt der Stahl 20 Meter in die Höhe
Zum Kunststück allerdings konnte die massive Mauer erst durch Hans Uhlmanns abstrakte Skulptur auf dem Bürgersteig davor werden. Uhlmann hatte sich mit seinem Entwurf beim ersten großen Wettbewerb durchgesetzt, der in der kriegszerstörten Stadt für „Kunst am Bau“ ausgelobt worden war. Pfeilartig schießt schwarz getönter Stahl 20 Meter in die Höhe, den Neubau überragend, 8,5 Meter weit spreizen sich in ihrer Mitte zwei mehrfach gefältelte Flügel.
„Die Materie überwinden“, so benannte der Künstler seine Zielsetzung bei dieser „räumlichen Plastik“. Das Ding sieht doch aus wie ein Schaschlik-Spieß ätzten die Schnauze-Berliner.
Um es musikalisch zu sagen: Erst im Duett wirken Fassade und Skulptur harmonisch, im dialogischen Zwiegesang. Zusammengenommen erschließt sich ein höherer Sinn: Da ist die Waschbetonmauer als Sinnbild der wehrhaften Demokratie, und da steht das himmelwärts strebende Metall als Ausrufezeichen für die Freiheit.
Wenige Wochen vor der Eröffnung des Opernhauses war West-Berlin zur Mauerstadt geworden. Jenseits des Eisernen Vorhangs gab es beides nicht mehr: Demokratie und Freiheit. Fritz Bornemann und Hans Uhlmann hatten das nicht wissen können, als sie Gebäude und Skulptur erdachten. Aber sie hatten es wohl geahnt, so wie Künstler oft den Luftzug der Geschichte schon spüren, bevor er dann der ganzen Gesellschaft ins Gesucht bläst.
Von einem „Zeichen der Hoffnung, des Lebens, des freien Lebensraums, der da Stadt heißt“, schrieb die Fachzeitschrift „Bauwelt“ 1961. Denn rings um die neue Deutsche Oper erstreckte sich tatsächlich noch eine Trümmerlandschaft. Als Stein und Stahl gewordene, zukunftsfrohe Feier der jungen Bundesrepublik berührt das architektonisch-bildhauerische Duo bis heute.
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