Bejun Mehta im Konzerthaus: Klänge, mit Händen zu greifen
Ein Sänger, der sich selbst am Dirigentenpult begleiten will, hat es nicht leicht. Anders als ein dirigierender Klavierspieler muss er sich zum Taktieren dem Orchester auf dem Podium, zum Singen dem Publikum im Saal zuwenden, damit die Stimme ihre Wirkung entfalten kann. Das bedeutet Drehungen während des Musizierens, eine gewisse Unruhe.
Außen wunderschön, inwendig des Teufels
Bejun Mehta, der wohlbekannte und vielgewandte Sänger, wagt sich beherzt an diese Aufgabe und interpretiert mit dem Konzerthausorchester die Bach-Kantate „Widerstehe doch der Sünde“. Es geht darin um den Doppelcharakter der Sünde, die „von außen wunderschön“, inwendig aber des Teufels sei. Die Komposition beginnt mit harter Dissonanz, und Mehta dirigiert zupackend, um im Rezitativ den Kontrast der Musik auszumalen: „Von außen Gold” steht dagegen, ganz „übertünchtes Grab“, in unheimlicher Harmonik.
Da das Orchester in kleiner Besetzung (nur Streicher und Continuo) ihm sorgsam folgt, während er die Phrasen mit Händen greift, gelingt das Kunststück einer frischen Wiedergabe. Sein Countertenor erblüht noch wesentlich anmutiger in einer Trauermusik von Melchior Hoffmann, die es als angezweifeltes BWV 53 bis in das Werkverzeichnis Bachs geschafft hat.
Aber Bejun Mehta, ein Großneffe des Dirigenten Zubin Mehta, hat sich seit ein paar Jahren auch dem Taktstock verschrieben. Er nennt es eine Rückkehr, weil er sich als junger Cellist in Orchestern umgetan hat. Nun wendet er sich zunächst Komponisten zu, mit denen er als Gesangssolist Erfahrungen sammeln konnte: Bach und Mozart. Während er in der D-Dur-Ouvertüre von Johann Sebastian Bach mit mutiger Flexibilität imponiert, zeigt er mit der Ouvertüre zu „Mitridate“ vor allem, dass er den Musizierenden klare Tempovorstellungen vermitteln kann.
Mit der Mozart-Oper feierte er 2005 sein Salzburg-Debüt als Countertenor. Seither ist er regelmäßig Gast an den führenden Opernhäusern der Welt und fasziniert das Publikum auch an Soloabenden nicht nur mit seinem Kehlengold. Denn als singender Interpret kennt er sich aus mit den Affekten der Barockmusik und ihren Verzierungen. Die Stimme besticht nicht nur mit ihrer Strahlkraft. Mehta verfügt über ein bezauberndes Legatissimo. An der Berliner Staatsoper verkörperte er Glucks Orfeo unter Daniel Barenboim.
Jetzt aber tritt er im Konzerthaus als Dirigent reiner Instrumentalmusik auf und verblüfft in dieser leitenden Rolle selbst seine Fans als ein Musiker von fesselnder gestaltender Selbständigkeit. Der anschwellende Beifall reflektiert die Überraschung des Publikums. Mehta differenziert die Kantabilität der homogenen Streichergruppen in der Jugendsinfonie A-Dur von Mozart, bindet die Achtelbewegungen nach den Oktavsprüngen in weiche Bögen, führt virtuose Läufe sensibel durch ihre Modulationen. Die Musik ist von einer Binnenspannung erfüllt.
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