Wagner und der Weichkäse
Die lachende Kuh ist der Hit in dieser kleinen, feinen Ausstellung im Bayreuther Wagner-Museum. Als die französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg mit Fleisch versorgt wurden, diente eine Kuh-Karikatur als Emblem für die Versorgungszüge. „La Wachkyrie“: Da lachen doch die Rindviecher, wenn der deutsche Feind nicht gut genährt besiegt werden kann. Eine makabre Anspielung: Im „Ring des Nibelungen“ sind es die Walküren, die die Gefallenen von den Schlachtfeldern auflesen.
Nach Kriegsende erinnerte sich der Käsefabrikant Léon Bel an das Emblem und ließ daraus ein Logo für eines seiner Produkte entwickeln. Voilà: In dem bis heute besonders bei Kindern so beliebten Schmelzkäse „La Vache qui rit“ steckt eine Portion Wagner.
Richard Wagner wurde schon karikiert, kaum dass er berühmt war. Eine „Zukunftsposse mit vergangener Musik“ nannte Johann Nestroy seine „Tannhäuser“-Travestie von 1857, mit dem hübschen Reim „O tönet fort, ihr Heimat-Wonnelieder/die ird’sche Kneipe winkt, sie hat mich wieder“. Die Lust an der Verballhornung hat wohl mit Wagners Monströsität zu tun, mit der ihm eigenen Hybris und seiner späteren Beliebtheit bei den Nationalsozialisten genauso wie mit seiner teils schier überirdisch schönen Musik.
Dem Phänomen Wagner ist schwer beizukommen. Also gesellt sich der Witz zum zwiespältigen Respekt vor dem Komponisten, dem es als einzigem Tonsetzer weltweit gelungen ist, dass im eigens für ihn errichteten Festspielhaus bis heute nur Opern aus seiner Feder erklingen dürfen. Die Ausstellung versammelt Comics, Karikaturen, Souvenirs und Sammelbildchen, einschließlich Bier-Werbung und Rosenthal-Porzellan, für das Wagners Schwiegertochter Winifred, ausgewiesene Hitler-Freundin, als Patin fungierte.
Auch Alberich aus dem Münster-„Tatort“ findet sich in der Schau: Börnes Assistentin, gespielt von Christine Urspruch, ist nicht nur klein und oho, sie vermag auch ungeahnte (Überzeugungs-)Kräfte zu entwickeln, genau wie der trickreiche Unterwelt-Chef im „Ring“.
Wagner ist Pop, ist Kitsch, ist Massenware: „VolksWagner“ heißt die zum Festspiel-Saisonstart eröffnete, von Oliver Zeidler kuratierte Ausstellung. Der Titel zitiert ein Laibach-Projekt von 2009 mit einer auf Wagner-Musik basierenden Jazzsuite. Klug wie der Titel, der den Namen des von Hitler geschätzten Komponisten mit dem des beliebtesten Autos der NS-Zeit kurzschließt, loten auch die Texttafeln die Niederungen und Abgründe der Wagner-Popularisierung aus. Im Lachen steckt immer auch der Schrecken.
Hier die Wagner-Helden und -klänge, dort der Nationalismus, der Antisemitismus, der Führerkult: Kaum auszumachen, wer da wen vereinnahmt. Die Ausstellung zeigt NS-Plakate mit Hitler als Parsifal-Erlöserfigur genauso wie das 1755 wiederentdeckte „Nibelungenlied“, das im Zuge der Befreiungskriege in den nationalen Mythenschatz aufgenommen wurde – bevor Wagner sich an den „Ring“ machte.
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Oder die Sache mit dem „Walkürenritt“. Wie oft wurde der rasante Luftgalopp im Kino nicht schon verwendet, man denke nur an Federico Fellinis „Achteinhalb“ oder Billy Wilders „Eins, zwei, drei“. Im Museum kann man sich die irre Verfolgungsjagd aus „Blues Brothers“ ansehen (mit quietschenden Reifen statt Hojoto- ho- Spitzentönen), ebenso den Ausschnitt aus „Apocalypse Now“, in dem der „Walkürenritt“ einen Hubschrauber-Angriff auf ein vietnamesisches Dorf begleitet.
Gleichzeitig lernt die Ausstellungsbesucherin, dass die Untermalung kriegerischer Szenen mit dem Vorspiel zum zweiten „Walküre“-Akt keineswegs erst 1941 begann, in der NS- Wochenschau über den Fallschirmjäger-Angriff auf Kreta. Sondern schon 1915 mit dem rassistischen Stummfilm-Blockbuster „Birth of a Nation“. Da erklingt Wagner zur Glorifizierung des Ku Klux Klan.
Isoldes Liebestod aus dem „Tristan“ zu Buñuels „Andalusischem Hund“, der Wagnerian Rock von Meat Loaf, ein Softporno der Constantin Film namens „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“ (Hallo, der Ober-Nibelung Alberich entsagt doch der Liebe?): Ob Surrealismus, Heavy Metal, Satanismus oder Sexbusiness, die hohe Kompatibilität Wagners hat zum einen mit der Eingängigkeit seiner Leitmotivtechnik zu tun, mit der er der Filmmusik den Weg bereitete. Zum anderen war schon Wagner selber ein gewiefter Geschäftsmann.
[Die Ausstellung “VolksWagner: Popularisierung – Aneignung -Kitsch” im Richard Wagner Museum Bayreuth ist noch bis 3. Oktober zu sehen. Im August täglich von 10 bis 18 Uhr, danach Di bis So von 10 bis 17 Uhr. Infos: wagnermuseum.de]
RW wusste die Marke RW unter die Leute zu bringen. Kein Wunder, dass selbst Marvel-Heldinnen nach seinen Figuren benannt sind. In der Ausstellung wird auch das Crowdfunding erläutert, mit dem der Festspielhaus-Bau und die erste Saison darin finanziert wurden – heute gibt es weltweit 125 Wagner-Vereine. Auch Gral- Kännchen-Werbung und Arrangements sind zu sehen, „Parsifal und die Blumenmädchen“ zum Beispiel, eingerichtet für Harmonium-Spieler.
Solche Noten für den Hausgebrauch oder fürs Pianola waren vor Erfindung des Grammophons üblich. Wagner mochte das nicht, wegen des Aura-Verlusts. Aber er begriff schnell den Nutzen solcher Reichweiten-Vergrößerung, heute wäre er bestimmt auf Insta und Co. unterwegs.
Was auch das Schreiben von Zirkusdirektor Renz an den „Verehrten Meister“ nahelegt, das im Richard Wagner Museum ausliegt. Der Zirkus bittet um Erlaubnis, den „Walkürenritt“ für eine Nummer verwenden zu dürfen. Wagner gewährte sie wohl, ein Werbezettel annonciert die Renz’schen „Nibelungen“ als „Großes Ausstattungsstück in drei Abtheilungen und drei lebenden Bildern nebst Apotheose, Evolutionen und Kämpfen zu Fuß und zu Pferde“.
Verständlicherweise gibt es Menschen, die den ganzen Wagner-Zirkus lieber meiden möchten. Aber nicht mal im All hätten sie eine Chance, ihm zu entkommen. Bereits elf Asteroiden sind nach ihm oder einem seiner Werke benannt.