Freundlicher Grenzübertritt eines orthodoxen Juden nach Ägypten
Man kann einem Menschen nichts Neues sagen; man kann ihm nur sagen, was er schon weiß, sagte Hegel. Keine Kommunikationstheorie kann das denken – aber dieser Film. Und vor allem: Er kann es zeigen! Ganz unterschwellig, vollkommen unaufdringlich.
„Nicht ganz koscher“ sehen, heißt begreifen: Etwas in uns muss immer schon darauf vorbereitet sein, was wir lernen sollen. Es muss anschließen können an die eigene Welterfahrung, gerade wenn es ihr scheinbar widerspricht.
Ben aus Brookyln soll in Jerusalem sein Tora-Studium abschließen
Der Drehbuchautor und Regisseur Stefan Sarazin traf vor bald zwanzig Jahren am Sinai einen jungen Beduinen, der ihn tief erstaunte: Er hasste die Juden nicht. Schon damals wusste er, dass der Mann ins Kino musste, erst recht, nachdem sie beide am Rande der Wüste ein altes Fischerboot entdeckten. Manchmal ist die Wirklichkeit der beste Surrealist.
Doch es war noch ein weiter Weg bis zu diesem Film, der ursprünglich „No Name Restaurant“ heißen sollte; so stand es auf dem gestrandeten Wüstenschiff. Jetzt also mit unauslöschlicher deutscher Filmtitel-Neigung zum Biedersinn „Nicht ganz koscher“. Und der beginnt mit der Ankunft des orthodoxen Juden Ben in Jerusalem, hier soll der junge Mann aus Brooklyn sein Tora-Studium abschießen.
Aber da ist noch etwas, er ahnt es: Er soll verheiratet werden. Orthodoxe Juden heiraten nicht nach ihrem Herzen, sondern wie überall auf der Welt früher geheiratet wurde: nach dem Ratschluss der Familie.
Luzer Twersky besitzt als Ben die Ausstrahlung größtmöglicher Selbstgewissheit bei grundstürzender Unsicherheit, eine umwerfende Mischung. Sein Gesicht wirkt stets verschlossen und steht dabei doch sperrangelweit offen. Ein Simplizissimus, der jedem Abenteuer sorgfältig ausweicht. Umso mehr erstaunt es, dass er sich noch am Tag seiner Ankunft in Jerusalem ohne Zögern für eine zweifelhafte Mission meldet.
Alexandria hatte einmal die größte jüdische Gemeinde der Welt, aber jetzt sind sie da nur noch neun. Neun Männer. Um Pessach feiern zu können, überhaupt einen jüdischen Gottesdienst, müssen sie aber zu zehnt sein. Helft uns!, tönt es aus Alexandria nach Jerusalem. Zumal ihr Haus an den ägyptischen Staat zurückfiele, sollten sie nicht mehr gemeindefähig sein. Ich bin der zehnte Mann, beschließt Ben.
Sarazin hat unablässig in der Wirklichkeit nach Spuren seines noch ungedrehten Films gesucht, auch in Alexandria, und bei den Nachrichten über die jüdischen Gemeinde, war die Idee plötzlich da: Aber zuerst verpasst Ben seinen Flug – also im Taxi zur ägyptische Grenze.
„Nicht ganz koscher“ hat noch einen Untertitel: „Eine göttliche Komödie“. Gottseidank ist dieser Film aber keine Komödie geworden, schon gar keine Culture-Clash-Komödie. Nur in den Szenen unmittelbar vor und nach Bens Grenzübertritt ist es wirklich eine, und zwar eine ziemlich gute. Das ungläubige Staunen der ägyptischen Grenzposten, als sie diesen einschlägig gekleideten Mann mit den Schläfenlocken mutterseelenallein auf sich zukommen sehen. Und die traumwandlerische Art, mit der er danach in den Bus einsteigt. In einen Bus voller Ägypter.
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Wunderbar, wie die Kamera von Holger Jungnickel über die konsternierten Gesichter gleitet, und jedes erzählt seine eigene Geschichte über das Verhältnis der Ägypter zu den Juden. Das Ergebnis ist nicht gut. Aber Ben darf mitfahren, der Busfahrer lässt demokratisch abstimmen. Einer gibt zu bedenken, da könne sich die israelische Armee beim nächsten Mal doch gleich Busfahrscheine kaufen, wenn sie in Ägypten einmarschieren wolle. Aber den meisten imponiert die Furchtlosigkeit des jungen Juden.
Allerdings ändert sich das Meinungsbild mit dem Wechsel der Passagiere an den Haltestellen, weshalb Ben mitten in der Wüste aussteigen muss. Auftritt Adel. Der großartige Haitham Omar spielt den leicht demoralisierten Beduinen mit seltsam überlegener Sanftmut. Jeder Satz zwischen ihm und Ben trägt.
Die Weite der Wüste scheint seinen Geist geformt zu haben, hier gibt es keine Grenzen. Der Sinai wird gespielt vom Wadi Rum in Jordanien, wo schon „Lawrence von Arabien“ entstand. Was für ein elementarer Hintergrund für elementarste Fragen. Also solche nach Gott und dem Überleben.
Mehr ist nicht zu sagen, aber natürlich zu sehen in diesem schönen, berührenden Film. Außer: Man kann einem Menschen nichts Neues sagen? Das ist wohl so, aber am Ende ist der Mensch selber neu, manchmal.