Die Fußball-EM ist ein internationales Familienfest
Drei Niederlagen in drei Spielen sind kein Grund zur Trauer. Im Stadion St. Mary’s in Southampton lief Queen, „Don’t stop me now“, und die Fans aus Nordirland machten tatsächlich nicht den Eindruck, als würden sie ans Aufhören denken. Sie applaudierten, schwenkten ihre Fahnen, einige tanzten sogar, als sich das Team am Freitag nach dem 0:5 gegen England von den mitgereisten Zuschauern verabschiedete.
Die EM endete für Nordirland schon nach der Vorrunde, als Letzter der Gruppe A. Doch das war zweitrangig für die nordirischen Fans. Sie feierten, dass ihre Auswahl überhaupt dabei war bei einem großen Turnier, zum ersten Mal. Bei jeder Partie veranstaltete der Anhang aus Nordirland ein Spektakel auf den Rängen, mit Pauken, Luftballons und dem Kampfschrei der „Green and White Army“.
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Die EM in England, bei der am Montag die Gruppenphase endete, ist ein Festival der Lebensfreude, geprägt von der guten Laune und der Farbenpracht der Fans. Das nordirische Publikum, überwiegend in Dunkelgrün gekleidet, beeindruckte mit seiner Leidenschaft trotz der ernüchternden Ergebnisse. Die Fans der Niederlande in knallorange veranstalten vor jedem Spiel einen Marsch zum Stadion. Die Zuschauer aus Schweden fallen wegen ihrer sonnengelben Trikots ohnehin überall auf. Selbst bei Partien wie der zwischen Italien und Island im Academy Stadium von Manchester City, der kleinsten EM-Spielstätte, ist die Atmosphäre flirrend. Nur stört in dem Fall das viele Blau.
Es ist das Blau der Planen, mit denen die Stehtribünen hinter den Toren abgedeckt wurden, weil Stehplätze bei Uefa-Veranstaltungen nicht zugelassen sind. Durch die Planen werden aus dem Academy Stadium TV-Bilder in die Welt gesendet, die den Eindruck erwecken, die EM würde auf Trainingsplätzen ausgetragen. Diese Optik ist viel ärgerlicher für die Organisatoren als die Tatsache, dass das Frauen-Stadion von Manchester City nur Platz für 4700 Menschen bietet. Es hatte vor dem Turnier eine Debatte über die Größe der Spielstätten gegeben, angestoßen von der Isländerin Sara Björk Gunnarsdóttir. Sie hatte geklagt, dass das Academy Stadium einer EM unwürdig sei.
An den englischen Verband FA und die Uefa stand der Vorwurf im Raum, dem Wachstum des Frauenfußballs in den vergangenen Jahren mit der Wahl der Stadien nicht gerecht geworden zu sein.
Nach Abschluss der Vorrunde lässt sich allerdings bilanzieren, dass die Ausrichter richtig lagen mit der Strategie, vor allem auf mittelgroße Spielstätten wie die Premier-League-Stadien in Brighton, Brentford oder Southampton zu setzen und einige Spiele auch an weniger glamourösen Orten wie Leigh, Rotherham oder im Academy Stadium stattfinden zu lassen.
Die Stadien waren bei den meisten Partien gut bis sehr gut gefüllt. Oft waren noch Plätze frei, die unglücklichen Bilder Tausender leerer Sitzschalen wurden aber weitgehend vermieden. Die Organisatoren haben die richtige Balance gefunden bei der Stadionfrage.
Das Publikum bei der EM ist anders als bei einem Männer-Turnier. Der Frauen-Anteil ist deutlich größer, es sind mehr Kinder auf den Rängen zu sehen, Fan-Trennung ist nicht nötig. Zuschauer aus allen Ländern Europas sitzen friedlich nebeneinander. Auffallend sind übrigens auch mehr offensichtlich gleichgeschlechtliche Paare als beim Fußball der Männer. Regenbogen-Schals werden vor den Spielstätten genau so selbstverständlich verkauft wie Schals der teilnehmenden Mannschaften. Die EM hat die Schwingungen eines internationalen Familienfests. Der Soundtrack dazu ist der Klang der Klatschpappen, die in allen Stadien verteilt werden.
Außerhalb der Spielorte ist die EM kaum präsent
Schon jetzt ist das Turnier das bestbesuchte für Frauen in der Geschichte, unter anderem wegen der fast 70 000 Menschen, die das Eröffnungsspiel zwischen England und Österreich im Old Trafford sahen. Die Engländerinnen haben eine makellose Vorrunde gespielt und gelten als Favorit auf den Titel. Von den weiteren Leistungen des Teams dürfte abhängen, wie groß der EM-Hype in England noch wird. Denn wahr ist auch, dass abseits der Spielorte nur wenig vom Turnier spürbar ist.
Im Sportteil der heimischen Medien waren Wimbledon und Cricket bisher wichtiger als die EM. Dass das ganze Land die Gärten beflaggt oder gefüllte Bierbecher beim Public Viewing in die Luft wirft wie bei Männer-Turnieren, ist bisher nicht zu beobachten. Aber das kann ja noch werden. Die Engländerinnen wollen bis zum Schluss dabei sein – bis zum Finale kommende Woche Sonntag im ausverkauften Wembley-Stadion.