„Ich lasse mich lieber anschreien, als dass ich belächelt werde“
Sie werden heute das Finale der Frauen in der Champions League in Budapest pfeifen. Sind Sie vor so einem Spiel noch aufgeregt?
Maike Merz: Erstmal ist die Freude unglaublich groß. Ansonsten ist die Aufregung nicht mehr so schlimm wie zum Anfang, als wir zum Beispiel das erste Mal im Fernsehen waren. Da haben die Knie schon manchmal gezittert. Doch daran gewöhnt man sich. Trotzdem ist vor so einem Finale eine gewisse Aufregung da und muss auch da sein. Das ist einfach etwas ganz Besonderes und Riesengroßes.
Sie stehen beide seit 20 beziehungsweise 18 Jahren als Schiedsrichterinnen auf dem Feld, pfeifen seit 2008 gemeinsam. Heute gehören Sie zum Elitekader des Deutschen Handballbundes und sind international tätig. Wie kam es denn zu der Entscheidung, diesen Werdegang einzuschlagen?
Tanja Kuttler: So alt möchte ich gar nicht sein (lacht). Wir wollten das eigentlich gar nicht. Angefangen haben wir mehr aus einer Not heraus. Wir sind beide totale Vereinsmenschen, waren Jugendtrainer und als dann Schiedsrichtermangel herrschte – was ja leider immer noch ein bestehendes Problem ist -, sind wird eingesprungen. Das war das notwendige Übel, um unsere Sportart am Laufen zu halten. Der Spaß kam dann später, als wir selbst nicht mehr gespielt haben und das Ganze passionierter betrieben haben.
Wie würden sie rückblickend ihren Weg beschreiben?
TK: Am Anfang waren Frauen totale Exoten. Da konnte auch auf unterster Ebene keiner glauben, dass wir die Schiedsrichterinnen sind. Es wurde uns einfach wenig zugetraut, sodass unser Weg deutlich mehr Kurven hatte als der der männlichen Kollegen.
MM: Wir wurden zunächst nicht so richtig unterstützt und man wollte uns nicht einsetzen. Das war schwierig und wurde für uns erst angenehmer, als wir gemerkt haben, dass es Leute gibt, die uns fördern und weiterbringen wollen. Dann hat es sich angefühlt wie Sport und wie Wettkampf, weil wir dann eine Chance hatten aufzusteigen und weiterzukommen.
Wie sehr hilft es, dass mit Jutta Ehrmann-Wolf erstmals eine Frau das Schiedsrichterkollegium leitet?
TK: Ich glaube, dass sie da wahnsinnig viel bewegt und tut. Das ist aber, weil es der Zeitgeist mit sich bringt und nicht unbedingt, weil Jutta eine Frau ist, die früher selbst die Steine in den Weg gelegt bekommen hat. Die Gleichbehandlung machen uns andere Nationen wie Frankreich vor und da sind wir in Deutschland mittlerweile ganz oben mit dabei. Wir haben in den letzten 20 Jahren eine Riesenentwicklung gemacht und es geht absolut in die richtige Richtung.
Ein Punkt, der oft als Nachteil gereicht wird, ist die Familienplanung. Das haben Sie aber mit ihrer Babypause nach der WM in Japan im Dezember 2019 gut gelöst.
MM: Das ist natürlich ein Nachteil, doch da kann ja keiner etwas dran ändern. Männer können allerdings genauso ein halbes Jahr ausfallen, wenn sie sich verletzen und dann wieder zurückkommen. Und wir waren ja nie wirklich weg vom Handball und haben weiter Spiele geschaut und die Lehrgänge besucht. Ich glaube, man braucht einfach das richtige Umfeld, um sich diesen Schritt zu trauen. Wir haben jetzt zumindest gezeigt, dass es funktionieren kann.
TK: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben uns zuerst riesige Gedanken gemacht, was das für unsere Karriere bedeuten würde und haben dann, als wir das Gespräch gesucht haben, gemerkt, dass diese Ängste total unbegründet waren.
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Die Familie mit den zahlreichen berufsbedingten Reisen zu koordinieren ist jedoch sicherlich nicht immer einfach.
MM: Schwierig ist es. Da muss man gut organisiert sein und benötigt den Rückhalt der Familie, bei den Männern angefangen bis hin zu den Schwiegereltern. Gleichzeitig ist es etwas Schönes. Wir sind in der Elternzeit und dadurch hauptberuflich Mütter. Durch den Handball haben wir einen tollen Ausgleich, bei dem wir etwas für uns tun können. Darum beneiden uns viele Freundinnen.
An sich ist der Job nicht unbedingt etwas, worum man beneidet wird. Angefangen bei den Anfeindungen seitens der Fans.
TK: Die vollen und lauten Hallen gehören zum Sport dazu. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man sich fragt, ob die Zuschauer schon eingeschlafen oder gegangen sind.
Auf dem Feld geht es derweil manchmal darum, die Akteure zu beruhigen. Wie funktioniert das am besten?
TK: Das ist typabhängig. Der eine braucht eine klare Ansage, der andere mehr Aufmerksamkeit und wieder anderen wird manchmal keine Beachtung mehr geschenkt. Aber das hängt auch von unserer Tagesform ab und wie sehr sich das Verhalten auf die eigene Konzentration und Leistung auswirkt. Wenn sich die Gemüter überhaupt nicht beruhigen, laden wir danach in unsere Kabine ein, damit wir das Problem in Ruhe besprechen können. Das hilft dann genauso uns, weil wir dadurch die Perspektive des Gegenübers besser verstehen. Und am Ende sind wir doch alle Handballer.
Gibt es etwas, was im Spiel für Sie gar nicht geht?
TK: Ich kann es nicht leiden, wenn es extrem respektlos wird. Wenn jemand zu nah an einen herantritt zum Beispiel oder zu laut wird. Das passiert glücklicherweise nicht oft.
MM: Ich lasse mich lieber anschreien, als dass ich belächelt werde. So nach dem Motto “ach Mädchen”. Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.
Sie pfeifen sowohl Männer als auch Frauen. Worin liegt der Unterschied?
MM: Das kann man schlecht sagen, weil es immer auf die jeweilige Klasse und Mannschaft ankommt. Die Partien der Frauen in der Champions League sind vom athletischen und spielerischen Aspekt denen der Männer sehr ähnlich. Aber der größte Unterschied ist die Aufmerksamkeit beziehungsweise das mediale Umfeld.
Fehler gehören auf allen Seiten zum Spiel mit dazu. Wie gehen Sie mit Fehlentscheidungen um?
MM: Im Spiel haben wir schnell gelernt, das abzuhaken. Es bringt nichts, da etwas kompensieren zu wollen. Danach schauen wir uns das extrem oft im Video an und gerade, wenn es sich um eine spielentscheidende Situation handelt, trage ich das schon noch etwas mit mir herum. Aber wir analysieren dann viel und versuchen die Ursache zu finden, damit wir es beim nächsten Mal besser machen.
Über Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen heißt es, wenn man nicht über sie spricht, war es eine gute Leistung. An sich schade, weil dann die Anerkennung fehlt, oder?
MM: Ach, nicht geschimpft ist genug gelobt, sagt man bei uns. Und oft gibt es ja die positive Rückmeldung von Spielern und Trainern. Das ist zwar nicht öffentlich, freut uns aber trotzdem.
TK: Wir haben über die Jahre auch gut gelernt, uns selbst einzuschätzen. Das hilft für die Psyche und stärkt uns ungemein. Und bisher hat es noch keiner geschafft, uns vom Pfeifen abzubringen.