Verfolgerinnen sind nur noch die anderen
Der Schlamm war ab, der Lack nicht. Lisa Brennauer reiste gestählt aus Roubaix zu den Bahnrad-Europameisterschaften ins schweizerische Grenchen. Und machte dort das, was sie im Team in diesem Jahr irgendwie immer macht: Gewinnen. Schon bei Olympia in Tokio hatte sie in der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn Gold gewonnen. Gut einen Monat später folgte der WM-Titel im Mixed-Zeitfahren auf der Straße und am Mittwoch wurde sie wieder auf der Bahn und wieder mit dem Frauen-Vierer auch noch Europameisterin.
„Ich habe mir nach Olympia gesagt, ich nehme jeden Wettkampf wie er kommt. Ein Highlight jagt das nächste, das muss man erst einmal verarbeiten“, sagte sie nach der überlegenen Goldfahrt der Deutschen im Finale, in dem die Italienerinnen satte um sieben Sekunden regelrecht deklassiert wurden. Neben Brennauer standen mit Mieke Kröger und Franziska Brauße zwei weitere Olympiasiegerinnen in Grenchen am Start, für die verletzte Lisa Klein sprang Laura Süßemilch ein.
An der Überlegenheit des deutschen Teams änderte das nichts. Dabei waren die Voraussetzungen nicht die allerbesten. Denn Brennauer startete noch am Samstag bei Paris – Roubaix. Der Radklassiker fand erstmals auch bei den Frauen statt, Brennauer wurde bei der Premiere nach 116 kräftezehrenden Kilometern starke Vierte. „Es war sehr glatt, es lag viel Schlamm und Matsch auf den Kopfsteinpflasterpassagen“, sagte sie hinterher. Insgesamt 29 Kilometer mussten die Frauen über die berühmten Pavé-Sektoren fahren – eine Belastung für Körper und Material. Brennauer steckte sie einfach weg.
Doch nicht nur die 33 Jahre Allgäuerin war in der Vorbereitung auf die Bahn-EM zumindest mal beeinträchtigt. Noch mehr traf dies auf Anfahrerin Franziska Brauße zu, die sich nach den Olympischen Spielen mit dem Coronavirus infiziert hatte: „Ich wurde positiv getestet, war zwei Wochen in Quarantäne, doch wer weiß, wozu diese Zwangspause gut war“, sagte sie nach dem Finale am Mittwochabend. Dazu war auch Mieke Kröger, die Bundestrainer André Korff gern als „Dieselmotor des Vierers“ bezeichnet, nach der Straßen-WM in Flandern erkrankt. Dort hatte sie mit Brennauer und Klein ebenfalls im Mixed-Zeitfahren den Titel gewonnen. Wie es für die EM um ihre Form stand, war nun aber nur schwer einzuschätzen.
Olympiasieg, EM-Titel und WM-Gold in einem Jahr sind möglich
In den drei Rennen in Grenchen war von diesen Problemen im Vorfeld nun aber nichts mehr zu sehen. In der Qualifikation konnte Brennauer noch geschont und durch Lena-Charlotte Reißner mehr als gut vertreten werden. Im anschließenden Halbfinale wurden die Niederländerinnen sogar eingeholt und im Finale lief es in der Mannschaft einmal mehr wie geschmiert.
Dabei dürfte die Entwicklung des deutschen Frauen-Vierers selbst die kühnsten Optimisten überrascht haben, auch wenn er sich in den vergangenen Jahren angedeutet hatte. Lisa Brennauer war schon bei Olympia 2012 in London dabei, damals war in der Mannschaftsverfolgung der Frauen noch ein Trio am Start. Deutschland wurde Achter und damit Letzter, 2016 hatte sich erst gar kein Team für die Spiele in Rio qualifiziert. Doch schon zwei Jahre später stand bei den Weltmeisterschaften ein fünfter Platz zu Buche, bei den Titelkämpfen in Berlin reichte es 2020 mit Bronze dann zur insgesamt erst zweiten WM-Medaille in dieser Disziplin.
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Seither ist das Team noch stärker geworden, allerdings wusste vor Tokio niemand, wie gut die deutschen Frauen dort würden auftrumpfen können. „Wir hatten unsere Zeiten, aber es gab keine Vergleiche mit der Konkurrenz“, hatte Bundestrainer Korff vor Olympia erzählt. Am Ende fuhren Brennauer, Klein, Brauße und Kröger zweimal Weltrekord und holten die einzige Goldmedaille für den Bund Deutscher Radfahrer bei den Spielen. Es ist ein Verdienst des hohen Engagements im gesamten Bahn-Team, das individuelle Trainingspläne erarbeitete und Abläufe optimierte, ohne dafür viel Zeit mit den Fahrerinnen zur Verfügung zu haben. Schließlich fahren die Frauen die meiste Zeit des Jahres für sich in ihren Profi-Rennställen.
Tatsächlich wartet in nur zwei Wochen noch ein weiterer Höhepunkt auf das deutsche Erfolgsteam, dann finden in Roubaix auch noch die Bahn-Weltmeisterschaften statt. Natürlich kann auch dort nur der Titelgewinn das Ziel sein. Lisa Brennauer könnte aus Roubaix dann doch noch etwas mitnehmen. Schöner als ein Pflasterstein ist so eine Goldmedaille allemal – und dazu noch ganz ohne Schlamm.