Keine Gnade, kein Entrinnen
Wenn sie nach Hause kommen, dann sollten Siegesfahnen wehen. Aber der Krieg ist lange schon vorbei, keine Fahne flattert. „Österreich schrumpft von einer stolzen Großmacht zu einem unbedeutenden kleinen Staat. Der Kaiser dankt ab. Die Republik wird ausgerufen“, verkündet ein Erzähler aus dem Off. Besiegt kehrt Oberstleutnant Perg mit seinen Männern auf einem Kutter nach Wien zurück, die letzten zwei Jahre haben sie in russischer Kriegsgefangenschaft verbracht. Ein schwerverletzter Kamerad stirbt kurz vor der Ankunft, nicht ohne zuvor noch einmal die Phrase vom Opfer hören zu müssen, das er für Kaiser und Vaterland geleistet habe. Das Schiff gleitet an zertrümmerten Landschaften und am Friedhof der Namenlosen vorbei, auf dem die Leichen begraben werden, die von der Donau angespült wurden.
Odysseus kehrt heim
Der Thriller „Hinterland“ des österreichischen Oscar-Preisträgers Stefan Ruzowitzky wirkt von der ersten Sekunde an ungemütlich. Der Krieg hat tiefe Narben auf den Gesichtern hinterlassen, Murathan Muslu spielt den Ex-Oberstleutnant mit größtmöglicher Kantigkeit. Frau und Kind sind aufs Land gezogen. Als Perg vor seiner alten Wohnung auftaucht, hält man ihn für einen Fremden. Wie Odysseus wird er nur vom alten Hund erkannt. Wenn nachts die Alpträume kommen, tanzen Silhouetten aus der Schützengrabenschlacht über die Wände.
Außerordentlich, mitunter atemberaubend ist die Ästhetik von „Hinterland“. Der Kamera von Benedict Neuenfels ist keine Perspektive zu steil, Häuser falten sich eckig auseinander, stehen hochkant. Vorbild waren expressionistische Stummfilmklassiker wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, bei der Anfangssequenz kann man auch an das Totenschiff aus Murnaus „Nosferatu“ denken. Aus den schiefen Gassen gibt es kein Entrinnen, die Figuren bewegen sich durch die Stadt wie durch Bühnenprospekte. Das Chaos der Umbruchszeit von 1920, digital hergestellt. Der gesamte Film entstand auf einer Blue-Screen-Bühne, die Schauspieler agierten vor blauem Hintergrund.
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Dem Horror des Kriegs sind die Männer entkommen, nun wartet ein anderer Horror auf sie. Ein Mörder, bald „das Monster von Wien“ genannt, begeht Taten von makabrer Virtuosität. Sein erstes Opfer flechtet er ans Achterbahngestell im Prater, mit erhobenen Armen wie Jesus am Kreuz. Der zweite Tote wird geköpft an einer Donaubrücke gefunden, sein Rücken wurde mit einer neunschwänzigen Katze malträtiert. Und mindestens genauso jämmerlich starb der Mann, dessen Unterleib von Ratten bis auf die Knochen gefressen wurde. Alle Opfer waren mit Perg im Gefangenenlager, und bei jedem Mord-Ritual spielt die Zahl 19 eine Rolle.
Ein neuer Horror wartet
„Nehmen Sie ein paar Strizzis und Zigeuner fest“, verlangt der Polizeirat (Marc Limpach) von seinen Leuten. Perg, der bis zum Kriegsbeginn als brillanter Kriminologe mit ihm zusammengearbeitet hat, wird zunächst verhaftet, darf dann aber auch ermitteln. Wenn er erfolgreich ist, so verspricht man ihm, kann er in seinen alten Beruf zurückkehren, unter voller Berücksichtigung der Pensionsansprüche. Die Wiener Kripo arbeitet mit anachronistischen Methoden, die neue Technik, anhand von Fingerabdrücken Identitäten festzustellen, halten sie für eine vorübergehende Mode.
[In Berlin Im Filmkunst 66]
Nur die Gerichtsmedizinerin Dr. Theresa Körner (Liv Lisa Fries in einer ähnlichen Rolle wie in „Babylon Berlin“) fällt durch Neugier auf. Als Stenotypistin entkam sie einst selbst einem Serienmörder, nun glaubt sie an Fortschritt und Feminismus und drückt ihre Zigarette auch schon mal auf dem Seziertisch aus. Perg und sie werden zum Liebespaar.
Vom Café Elektric geht es ins Gossenmilieu, wo der betrunkene Perg zu „La Paloma“ Walzer tanzt. Der Showdown findet im Stephansdom statt. Kopfüber hängt dort ein Mensch wie ein Glockenklöppel. Es schlägt die Stunde der Wahrheit.