Das letzte Konzert, das beste Album, der liebste Song
Ein bisschen Mitleid kann man mit den beiden Kanzlerkandidaten und der Kanzlerinnenkandidatin schon mal haben. Nicht nur, dass sie seit Wochen wenigstens die Welt erklären und ultimative Lösungen für so viele drängende Probleme haben sollen.
Nein, dann müssen sie auch noch verraten, wie es um ihre Pop-Sozialisation steht, was die ersten Singles oder Alben waren, die sie gekauft oder gehört haben, und wer ihre Lieblingsbands oder Lieblingsmusiker: innen sind. Der deutsche „Rolling Stone“ hat nämlich genau das in den letzten zwei Wochen bei Olaf Scholz, Annalena Baerbock und zuletzt Armin Laschet erfragt, hat ihnen „10 Popfragen“ gestellt, inklusive einiger zur Kulturpolitik und dem Standing der Popkultur in diesem Ressort.
Man hätte sich jetzt gern überraschen lassen; hätte staunend gelesen, dass Armin Laschet oder Annalena Baerbock im höchsten Maß popverfeinert sind und mit einem umfänglichen popkulturellen Katalog aufwarten. Aber die Erwartungen waren doch eher klein, auch bei Annalena Baerbock.
Denn gerade die Grünen, obwohl seit ihrer Gründung die quasigenuine Partei der Jugend und des Aufbegehrens, haben sich noch nie damit hervorgetan, cooles Popwissen zu verbreiten, Biff Bang Pow oder Tocotronic zu lieben oder zum Beispiel der Clubkultur besonders zugewandt zu sein (das ist hier in Berlin erklärtermaßen Kultursenator Klaus Lederer von den Linken).
Bei Baerbock ist Pop ein unbestelltes Feld
Spontan kommt einem zum Popverständnis des Grünenpersonals gerade einmal Claudia Roth in den Sinn, die ein großer Fan von Bruce Springsteen ist und bei dessen Songs immer „Kraft tankt“ für ihre Politarbeit.
Bei Annalena Baerbock, die 1980 geboren wurde, scheint Pop nun wirklich ein völlig unbestelltes Feld zu sein.
Sie erinnert sich nur vage an das erste Album, das sie erstanden hat, von Roxette oder den Toten Hosen, Titel nennt sie nicht. Ihr Lieblingsalbum ist Pink Floyds „Wish You Were Here“, klar, warum nicht.
Doch sie erinnert sich weder an das letzte Konzert, auf dem sie war, „wegen Corona schon so lange her“, (wo doch genau das noch jeder sehr genau weiß, der gern auf Popkonzerte geht); und sie verneint auch die Frage danach, ob sie einmal Mitglied einer Subkultur gewesen sei.
Was die Protestbewegung anbetrifft, tut Baerbock sich schon leichter: „Wenn Demos als Protestkultur durchgehen: viele“. Auf diesen Demos dürfte sie sicher auch mal Ton Steine Scherben, die Sterne oder Slime gehört haben, ohne dass sich da jedoch etwas bei ihr verhakt zu haben scheint.
Armin Laschet, Jahrgang 1961, also ein Kind der siebziger Jahre und in den popmusikalisch so vielfältigen achtziger Jahren in seinen Zwanzigern, ist dagegen geradezu elaboriert. Eine klare Erinnerung an die erste Platte, die er erworben hat, eine Single, Neil Diamonds Song „Longfellow Serenade“ von 1974, da war er dreizehn, passt also.
Olaf Scholz begann mit „Let it be“
Zum ewigen Lieblingsalbum äußert sich Laschet lieber nicht, das seien zu viele. Dafür weiß er genau die Konzerte, auf denen er vor Beginn der Pandemie mit seiner Tochter war, U2 und Mark Forster, dazu Amy MacDonald, nun denn!, und Peter Maffay.
Noch mehr hat Laschet zu bieten bei der Frage nach einem guten Wahlkampfslogan aus einem Songtext oder einer Songzeile. Er nennt Marvin Gaye, Tammi Terrell, Tim Bendzko und auch Oasis mit „Don’t Look Back In Anger“. Hier kommt aber der Verdacht auf, dass der CDU- Kanzlerkandidat sich in diesem Fall hat beraten lassen, genau wie Baerbock mit einer Zeile der Ärzte und Scholz mit einer von Fleetwood Mac.
Was wäre die Spitzenpolitik ohne Berater:innen oder Redenschreiber:innen? Gut in Erinnerung sind da zum Beispiel auch immer die mit vielen Zitaten aus der Hochliteratur gespickten Buchmesseneröffnungsreden der einstigen Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth.
Doch zurück zum Pop, zu Olaf Scholz, der zumindest in diesem Fall Laschet nicht von der Spitzenposition verdrängt. Scholz, 1958 geboren, scheint sowieso mehr ein Fan der Klassik und des Jazz zu sein. Dass seine erste Single (oder war es das Album?) „Let It Be“ der Beatles gewesen ist, hat natürlich seinen eigenen Charme. Das SPD-Vergangenheitsteam hat hier doch auf ganzer Linie versagt.