Zweiter Roman von Helene Bukowski: Feuer und Salzwasser
Eine Frau kehrt zurück in ihre Wohnung, dreht sich beim Anblick ihres Mannes und ihres kleinen Sohnes gleich wieder um und geht, ohne ein Wort des Abschieds. So dramatisch und zugleich mysteriös beginnt die Berliner Schriftstellerin Helene Bukowski, Jahrgang 1993, ihren zweiten Roman mit dem Titel „Die Kriegerin“.
Die naheliegende Vermutung, Lisbeths Weggang könnte etwas mit ihrem Mann zu tun haben, wird im Lauf der Lektüre widerlegt. Malik, ein Schreiner, erweist sich als Ausbund an Verständnis und Empathie, selbst dann noch, als Lisbeth sich sechs Jahre später, gegen Ende des Romans, wieder bei ihm meldet.
Nein, die hochsensible Lisbeth geht, weil sie seltsame Träume hat und weil sich ihre Haut, wie schon ihr ganzes Leben lang, wenn sie etwas oder jemanden zu nahe an sich heranlässt, entzündet hat; ein schwerer Fall von ererbter psychosomatischer Neurodermitis. Seit ihrer Kindheit weiß Lisbeth aber, wo sie in solchen Phasen Heilung findet, an einem Ort an der Ostsee.
„Das Kind braucht Salzwasser und Licht“, lautete schon der Rat, den eine Unbekannte in einer Straßenbahn Lisbeths Mutter gab. Zurück an der Ostsee findet die erwachsene Lisbeth gleich das Ferienhaus wieder, in dem sie einst regelmäßig mit ihren Eltern zu Gast war, leerstehend natürlich.
Und dort am Strand läuft ihr auch prompt ihre alte Freundin Florentine über den Weg, die „Kriegerin“ nach Jahren ohne Kontakt. Der Spitzname der raubeinig-toughen, stolzen Frau stammt noch aus der Zeit, als sich die beiden während der Grundausbildung bei der Bundeswehr ein Stockbett teilten; gemeinsam haben die beiden Frauen ein Bedürfnis nach Abhärtung.
Anders als Lisbeth, die aufgrund eines traumatischen Erlebnisses gegen Ende der Ausbildung ihre Dienstzeit ohne ein Wort der Erklärung abgebrochen hat (offenbar ein Verhaltensmuster), ist Florentine bei der Bundeswehr geblieben und inzwischen als Fallschirmjägerin auf Auslandseinsätzen unterwegs.
Jetzt, nach ihrem Wiedersehen, verschweigt Lisbeth ihrer Freundin, dass sie inzwischen verheiratet und Mutter geworden ist, vielleicht aus einem diffusen Schamgefühl heraus. Auch sonst ist das Verhältnis zwischen den beiden, obwohl sie bald zusammen in dem Ferienhaus wohnen und sogar nebeneinander schlafen, ein diffiziler Balanceakt aus behutsamer Annäherung, Rückzug, emotionaler Abschottung und jeder Menge unausgesprochener und unausgelebter Gefühle.
Denn auch die gern einen symbolträchtigen Staubmantel tragende Florentine hat ihr Päckchen zu tragen, seit sie als Kind von ihrer Großmutter, die einst im Krieg vergewaltigt worden war, den sozusagen transgenerationalen Auftrag bekommen hat, sich zeitlebens zu schützen, am besten, indem sie Soldatin wird.
Beide Frauen lernten sich bei der Bundeswehr kennen
Wie sich herausstellt, scheint es aber auch ohne Kontakt eine Art übernatürliche Verbindung zwischen den Frauen zu geben: Die ganze Zeit schon hat Lisbeth die Träume der Kriegerin quasi mitgeträumt, unheimliche Bilder von einer verbrannten Ebene, vom Einsammeln von Steinen, auch sie im Roman ein Symbol, nämlich für das Sich-zur-Wehr-Setzen gegen sexuelle Gewalt.
Die Traum-Verbindung bleibt auch in den folgenden Jahren bestehen, als Lisbeth immer wieder als Floristin (nicht gerade ein naheliegender Beruf für Menschen mit Hautproblemen) auf Kreuzfahrtschiffen arbeitet, während Florentine in Mali oder im Kosovo ist; regelmäßig zum Jahresende leben die beiden dann wieder für einige Wochen zusammen in dem Ferienhaus.
Nur dass sich Florentine von Mal zu Mal merkwürdiger und abweisender verhält, vor allem nach einem Einsatz in Afghanistan, wo sie in Kriegshandlungen geraten ist und erstmals einen Menschen töten musste. Zunehmender Alkoholkonsum, Wutanfälle und Angstattacken sprechen eine eindeutige Sprache, auch wenn Lisbeth erst auf einer weiteren Kreuzfahrtreise, als sie einen ebenfalls traumatisierten Veteranen kennengelernt, erstmals den zugehörigen Fachbegriff hört: PTBS, die Abkürzung für eine posttraumatische Belastungsstörung, worunter viele Soldaten und Soldatinnen nach ihren Einsätzen leiden; eine Erkrankung, an der auf andere, ganz eigene Weise auch Lisbeth leidet, seit jenem schrecklichen Vorfall gegen Ende ihrer Grundausbildung.
Für ihren Debütroman „Milchzähne“ bekam die Autorin viel Lob
Für ihren Debütroman „Milchzähne“, der 2019 veröffentlicht wurde, eine interessante Mischung aus CliFi-Dystopie und Robinsonade, eine Art modernes Märchen über ein Mädchen, das plötzlich einfach so aus dem Nichts auftaucht, erhielt die Autorin viel Lob. Sogar eine Verfilmung ist geplant. Umso enttäuschender ist nun Helene Bukowskis neuer, wieder in einer eindringlich-spröden Sprache erzählter Roman.
Was schade ist, schließlich wäre die Verbindung Frauen und Bundeswehr heutzutage von einiger Aktualität, und Florentines Erinnerungen an ihre Erlebnisse in Afghanistan sind, wenn man als Leser:in noch die Bilder vom Abzug der westlichen Einsatzkräfte vor Augen hat, nur umso bedrückender. Von der Bedeutung des Themas sexuelle Gewalt und welche Folgen sie hat, ganz zu schweigen.
Doch gibt es hier der Unglaubwürdigkeiten, Logikfehler und unwahrscheinlichen Zufälle einfach zu viele. Fantastische Elemente zum Beispiel, ob nun geteilte Träume oder Schwärme rosafarbener Papageien, die irgendwann vor Florentines Wohnung auftauchen, wirken ohne jede Motivation einfach nur deplatziert. Und als Lisbeth auf Kreuzfahrt ist, lernt die Kriegerin, Zufälle gibt es, ausgerechnet einen gewissen verlassenen Vater namens Malik kennen und beginnt mit ihm eine Affäre.
Gut, irgendwann findet Florentine dann heraus, um wen es sich dabei handelt. Bloß: Eigentlich hätte sie schon längst von ihm wissen müssen, denn wie sich am Romanende herausstellt, stand Florentine all die Jahre nach der gemeinsamen Grundausbildung über mit Lisbeths Mutter heimlich in Kontakt – und hat dabei nie erfahren, dass ihre Freundin eine Familie gegründet hat?
Zum Ärgernis bei der Lektüre werden auch die künstlichen Dialoge oder den Figuren in den Mund gelegte Sätze wie: „Seit dieser Nacht hat uns eine Unruhe erfasst, die sich nicht abschütteln lässt, egal, wie sehr wir es versuchen. Der Boden ist brüchig und wir misstrauen allen, geben nie nach, verbieten uns jede Empfindlichkeit.“
Da kann man leider nur von küchenpsychologischem Kitsch sprechen.
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