„Wir spielen mit den Träumen von Menschen“
Die Regisseurin und Autorin Simone Dede Ayivi, 1982 in Hanau geboren, hat sich mit Theaterarbeiten zu Rassismus und Migration einen Namen gemacht. Sie engagiert sich auch jenseits des Theaters gegen Diskriminierung, mit Gastbeiträgen wie etwa im Tagesspiegel. Sie arbeitete unter anderem am postmigrantischen Theater Ballhaus Naunynstraße, ihre Produktionen und Performances wurden in den Sophiensälen, am HAU und auf Festivals gezeigt. Mit dem Stück “The Kids Are Alright” ist sie im Juni zum Impulse Festival in NRW eingeladen.
Simone Dede Ayivi, zuletzt sind eine Reihe von Rassismus-Vorfällen an Theatern öffentlich geworden, unter anderem am Theater an der Parkaue, am Schauspiel Düsseldorf und beim Staatsballett Berlin. Betrachten wir diese Skandale zu sehr als Einzelfälle?
Es wird ja durchaus über Strukturprobleme an Theatern diskutiert, über das Arbeitsklima an den Häusern generell – nur gehandelt wird danach nicht. Der Stand der Debatte ist weiter als die Konsequenz daraus. Wenn wir über das Theater sprechen, müssen wir allerdings differenzieren. In der freien Szene gibt es weniger solcher Vorfälle, weil nicht in diesen sektenhaften Strukturen der Stadt- und Staatstheater mit ihren klaren Hierarchien gearbeitet wird. Das heißt nicht, dass in der freien Szene kein Machtmissbrauch existiert. Hier arbeiten allerdings viele, die bewusst nach anderen Arbeitsformen suchen. Zum Beispiel in Kollektiven.
Sind es die Hierarchien, die Diskriminierung begünstigen?
Bemerkenswert ist doch, dass in den Berichten über die betreffenden Häuser immer wieder von einem „Klima der Angst“, oder einer „Kultur des Schweigens“ die Rede war. Die fragilen Beschäftigungsverhältnisse vieler Schauspieler:innen und Assistent:innen, die Tatsache, dass meist in den immer gleichen kleinen Kreisen zusammengearbeitet wird – das alles begünstigt eine Situation, in der sich niemand traut, gegenüber den höher Gestellten zu sagen: Moment, hier stimmt was nicht. Alle halten lieber die Klappe, statt den Kolleg:innen zu Hilfe zu kommen, weil sie Angst um ihren Job haben. Das ist ein Stadttheaterphänomen. In offenen Projektstrukturen wächst eine solche Psycho-Dynamik nicht so schnell.
Werden die Fälle von Rassismus und Sexismus an Theatern zu wenig im Zusammenhang gesehen?
Wir betrachten nicht umfassend genug, wie Machtverhältnisse im Theater funktionieren. Natürlich kann es ein Weg sein, mehr Frauen in Führungspositionen an Theatern zu bringen, um Sexismus entgegen zu wirken. Das muss aber nicht funktionieren. Nicht jede Intendantin macht die Arbeit gegen sexualisierte Gewalt automatisch zur Priorität – oder fördert andere Frauen. Ich finde Diversität wichtig, aber ich bin skeptisch, ob Mitarbeiter:innen vor Gewalt, sexistischen und rassistischen Sprüchen oder Übergriffen geschützt sind. Dafür braucht es eine explizite Agenda. Ja, es gibt noch immer zu wenige Schwarze Menschen als Entscheidungsträger:innen am Theater. Aber vor allem gibt es zu wenig nette Menschen.
Woran liegt das?
Der Theaterbetrieb ist von der Ausbildung an darauf angelegt, Druck von oben nach unten weiterzugeben. In diesem patriarchalen System bestehen eben nicht die kollegialsten, höflichsten, fürsorglichsten Menschen. Sondern diejenigen, die am zähesten sind und am lautesten schreien. Der Fehler liegt nicht nur im System. Die Hierarchien begünstigen ein bestimmtes Verhalten, sie sind aber nicht allein verantwortlich für die Missstände. Es geht immer auch um den einzelnen Menschen. Klar ist es gut, diese Männerclubs am Theater aufzusprengen. Aber wir erleben auch, dass Frauen oder People of Colour auf die gleiche Weise herrschen wie die weißen männlichen Theaterfürsten.
[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter “Fragen des Tages”. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier. ]
Bei all dem bewahren sich die Theater hartnäckig ihr Image als Orte der Aufklärung und des liberalen Bewusstseins…
Genau dieser Widerspruch treibt immer mehr Mitarbeiter:innen, die von Übergriffen oder Missbrauch betroffen sind, an die Öffentlichkeit. Es ist ja nicht so, als gäbe es an den Bühnen mehr Rassismus und Sexismus als in irgendeiner Firma mit vielen Abteilungen. Aber am Theater spitzen sich die Konflikte zu, weil mit den Träumen von Menschen gespielt wird, mit dieser Hoffnung, ein freieres Leben zu führen als im Großraumbüro. Die Kunst mit ihren Versprechen von Ruhm und Glück wird extrem romantisiert. Umso eklatanter ist die Diskrepanz zwischen dem, was nach außen präsentiert wird und dem, was innen passiert. Man schafft es, mit super autoritären Strukturen und einer brüllenden, als Genie gelabelten Person in der Regieposition Stücke über Revolution und Befreiung auf die Bühne zu bringen. Das finden die Leute immer alberner.
Welche To-Do-Liste ergibt sich aus den Debatten um Rassismus und Machtmissbrauch?
Wir müssen weiter dafür kämpfen, dass sich das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in Regiepositionen angleicht, dass mehr Schwarze und People of Colour in die Ensembles kommen. Je mehr es werden, desto schwerer wird es, sich die eine oder den einen herauszupicken und zu piesacken. Auch andere Missstände fallen endlich auf: Es gibt eine erstarkende Bewegung von behinderten oder chronisch kranken Künstler:innen, die für bessere Arbeitsbedingungen und Plätze in den Ensembles streiten, für Barrierefreiheit für sich und das Publikum. Die Reaktionen auf Act Out haben außerdem gezeigt, dass wir weiter gegen Queerfeindlichkeit arbeiten müssen. Doch vor allem darf die Intendanz nicht so viel Macht bündeln und die Beschäftigten brauchen sichere Verträge, um nicht ständig um ihren Job zu fürchten. Dann können sie auch für sich einstehen.
Wie könnten neue Allianzen entstehen?
Als wir vor ein paar Jahren im Deutschen Theater über Blackfacing diskutiert haben, hat eine Schauspielerin eingeworfen: Warum regt ihr euch so über Rassismus auf? Ich werde ja auch als Mutter diskriminiert. Damals haben wir nur entgegnet, darum ginge es doch gar nicht – und das stimmte auch. In dem Moment musste über Rassismus gesprochen werden. Aber in einem nächsten Schritt fände ich es wichtig, einfach alles auf die Liste zu schreiben, was an Problemen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen existiert. Wenn eine Community etwas erkämpft hat, das sich auch eine andere wünscht: raus mit der Forderung! Machen wir einen großen Katalog der Missstände auf und räumen den Tisch frei für unsere Wünsche. Wir müssen dem, was wir uns vorstellen können, mehr Raum geben.
Wo ist in Ihren Augen die Kulturpolitik gefordert?
Die Kulturverwaltung sollte klare Leitlinien aufstellen, an denen sie sich selbst messen kann. Wie sollen die Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb sein? Welchen Ton dulden wir an unseren Theatern nicht? Außerdem braucht es eine unabhängige Beratungsstelle für Diskriminierung und Machtmissbrauch im Kulturbetrieb – die Vertrauensstelle Themis widmet sich ja vor allem Fällen von sexueller Belästigung und Gewalt und kann nicht alles abdecken. Die politische Seite sollte sich auch verstärkt mit den Schauspieler:innen, den Assistent:innen, den Techniker:innen austauschen – mit denen also, die im Betrieb wenig Gehör finden, aber jeden Tag den Laden am Laufen halten. Ich wundere mich, dass die Kämpfe, die wir momentan erleben, nicht als das gesehen werden, was sie sind, nämlich Arbeitskämpfe. Kaum jemand erkennt das an, denn wir reden ja über Kunst.
Eine Gruppe von Kolleg:innen hat die Forderung nach einem Schwarzen Theater erhoben. Schließen Sie sich an?
Ich verstehe und kenne die Verzweiflung, die zu diesem Wunsch führt. Aber welche ästhetische Ausrichtung soll dieses Schwarze Theater haben? Zeigt es Performances, Mundart-Komödien? Schwarz ist keine Kunstrichtung. Hat das Haus eine Intendanz oder wird es von einem Kollektiv geführt? Das sind die Fragen, auf die es für mich ankommt. Ich möchte nicht nur vor Rassismus geschützt sein, ich möchte gewaltfrei arbeiten. Die Diversitätsfrage allein genügt mir nicht.