„Wir Kreativen sind eine Art ukrainische Armee“: Die Designerin Lilia Litkovska auf der Berliner Modewoche

Es ist Sonntagvormittag, die Designerin Lilia Litkovksa sitzt im Frühstücksraum ihres Hotels an der Potsdamer Straße und trinkt Tee. Sie hat eine eintägige Autofahrt hinter sich, die Kollektion und sie selbst mussten von Paris nach Berlin. Zeit für Erholung gibt es keine, Models müssen gecastet werden, Journalisten wollen Interviews führen. Am Montag beginnt die Berliner Modewoche, am Dienstag wird Litkovska ihre aktuelle Kollektion im Kreuzberger Kraftwerk präsentieren.

„On Air“ heißt sie und wurde bereits am ersten März in Paris gezeigt. Der Einladung des Fashion Council Germany folgte Litkovska dennoch. „Ich habe das Gefühl, dass der Kern der Litkovska-Ästhetik sehr der Berliner Stimmung entspricht“, erklärt sie. „Es ist schwierig, das in Worte zu fassen, es geht um Gefühle oder um Merkmale von Atmosphäre in meiner Mode, die zu Berlin passen.“ Dies sei auch der Grund, warum sie sich bei der Berliner Präsentation ganz puristisch und ohne großes Spektakel auf die Mode fokussieren wolle.

Der Titel „On Air“ spielt auf die ständige Verfügbarkeit und die rasante Verbreitung von Informationen an. Passenderweise fand die Präsentation in Paris in einem Kino statt und während die Models auf dem Laufsteg die neuesten Entwürfe präsentierten, konnten Besucher dem Litkovksa-Produktionsteam in einer Liveübertragung bei seiner Arbeit im Kriegsgebiet in Kiew zusehen.

Wir, die Kreativen, sind eine Art ukrainische Armee. Aber wir zerstören nicht, sondern erhalten und bauen auf.

Lilia Litkovska – Modedesignerin

Die Unterzeile des Markennamens „Litkovska“ ist „Kyiv – Paris“, eine Richtungsangabe, die Lilia Litkovska bereits bei der Gründung ihres Labels 2009 ganz bewusst wählte: „Es ging mir darum, Möglichkeiten zu eröffnen, einen Austausch zwischen den beiden Modestädten Kiew und Paris herzustellen“ erzählt sie. Jetzt habe sie verstanden, dass Berlin diese Achse modisch verbinde. Sie sei dankbar, dass ihr hier eine Plattform geboten würde, die es ihr auch über die Mode hinaus ermöglicht, ihre Stimme zu nutzen.

In Litkovskas Mode gibt es keine „falsche Seite“

Lilia Litkovska wirkt nicht wie jemand, der seine Stimme erhebt, um sich Gehör zu verschaffen. Sie wirkt zurückhaltend, fast scheu, auf Fragen antwortet sie ernst, aber offen. Wenn sie von Kiew erzählt, von kulturellen Entwicklungen, die in ihrer Heimatstadt in den Jahren vor dem Krieg angestoßen wurden, ahnt man, wie schwer die Erinnerungen lasten und wie viel Hoffnung sie gleichzeitig geben: „In den letzten zehn Jahren haben wir unsere kulturellen Wurzeln wiederentdeckt, die wir vergessen hatten.

Neue künstlerische Strömungen sind entstanden und gewachsen. Vor dem Krieg kamen viele internationale Besucher in die Stadt, die Teil der Entwicklung sein wollten.“ Das Gefühl dieser Entwicklungen sei in Künstler-Cafés, Galerien, Clubs und der kreativen Community greifbar und beflügelnd gewesen. 

Der kreative Geist der Entwicklung lässt sich aber zum Glück nicht so einfach zerstören. „Wir, die Kreativen, sind eine Art ukrainische Armee. Aber wir zerstören nicht, sondern erhalten und bauen auf“, beschreibt die Designerin ihre Rolle. Litkovskas Herangehensweise an Mode ist pragmatisch. Ihr Motto lautet: „Es gibt keine falsche Seite“. Gemeint ist damit, dass bei Litkovska die Innenseite der Kleidung – das, was die Trägerin auf ihrer Haut spürt – mindestens genauso wichtig ist wie die modische Oberfläche.

Ähnlich inhaltlich-technisch kommuniziert sie mit ihren Entwürfen. Litkovska kommt zeitgenössisch, elegant und minimalistisch daher. Botschaften druckt sie nicht als Schlagworte auf T-Shirts, sondern verpackt sie in der Wahl ihrer Farben und Materialien, der Art, wie sie traditionelle Stickereien verarbeitet oder bewusst einen Saum unvernäht lässt.