TV- und Serien-Festival in Baden-Baden: Zwischen schwarzen Polizisten und Liebesrobotern

Baden-Baden, das war vor gar nicht allzu ferner Zeit ein patinierter Kurort, den russische Oligarchen nebst Anhang ebenso schätzen wie Fans ähnlich angegrauter Unterhaltung. „Fernsehfilmfestival“ hieß die ortsansässige Institution alteingesessener Feuilletonisten, seit 2013 mit popmodern großem F in der Mitte, aber trotz und wegen all der Geschichte war das irgendwie, nun ja – von gestern.

Bis Urs Spörri dem Festival im vorigen Jahr mit breiter Palette und neuem Titel eine zukunftstaugliche Gegenwart gab. Unter seiner Leitung heißen die Fernsehspieltage im säulenbewehrten Kurhaus nun „TeleVisionale“, was zwar immer noch mehr nach Bildschirmtext als nach Netflix klingt. Am Ende aber sind es Serien digitaler Portale, die das Festival des schwäbischen Kulturmanagers im badischen Messingbarock modernisieren.

„Sam. Ein Sachse“ zum Beispiel. Spoerri eröffnet sein Festival mit diesem Siebenteiler über einen schwarzen Volkspolizisten, der vor 30 Jahren in die Kriminalität abrutschte. Eine unglaubliche, aber wahre Story, aufbereitet von – nein, nicht ARD & ZDF. Mit den öffentlich-rechtlichen Sendern habe er zwar gesprochen, erzählt Produzent Tyron Ricketts bei der Jury-Diskussion, „aber nur so lange, bis Disney+ zugegriffen hat“. Damit sind die Trends der TV-Saison 2024 bei der Televisionale 2023 auch schon gut umschrieben.

Unter den zehn Finalisten kein „Tatort“

Es wird digitaler, streamiger, serieller, couragierter, vor allem aber: ziviler. In der Serien-Konkurrenz des Wettbewerbs stehen dafür fünf Formate, die allenfalls beiläufig Krimi-Aspekte haben. Der Prime-Sechsteiler „Luden“ erzählt ohne Polizei von Gangs der Reeperbahn um 1980 und die vierte Staffel „Babylon Berlin“ trotz Polizei von Nazis in Berlin um 1930. Caroline Links Neo-Ereignis „Safe“ spielt in der Kinder-Psychiatrie und Pola Becks Near-Future-Serie „Tender Hearts“ (Sky) mit Liebesrobotern.

Ähnliches beobachtet Festival-Chef Spoerri bei den 90-Minütern. Unter den zehn Finalisten gäbe es aktuelle keinen „Tatort“ und nur einen „Polizeiruf“, während die ServusTV-Groteske „Der Metzger traut sich“ trotz einiger Cops im Cast zu absurd für Krimirealitäten ist.

Das Zeitalter ermittelnder TV-Charaktere ist damit lange noch nicht beendet. Doch wenn der bundesweit wichtigste Branchentreff Themen wie Altersliebe („Der neue Freund“), Schaustellerleben („Zwischen uns die Nacht“) oder Verlustbewältigung („Laufen“) zur Auswahl stellt, ist Deutschland wohl nicht mehr nur Fernsehkrimi-Land.

Auch bei den kreativen Machern hinter der Kamera tut sich was. Es wird langsam diverser. Da nur 20 Prozent der eingereichten Filme von Frauen sind, bleibt die Baden-Badener Quote hier zwar leider noch ausbaufähig. Vor der Kamera allerdings dominieren weibliche Figuren. Und falls die Spitze der Besetzungsliste wie in „Sörensen fängt Feuer“ männlich ist, spielt sie Bjarne Mädel quasi testosteronfrei.

Wenn die Preisgerichte bis Donnerstag nun vor und mit dem Publikum in Baden-Baden debattieren, das Alleinstellungsmerkmal der Televisionale, wird die Kategorie Film von Julia Jentsch geleitet und die Sektion Serie von Maren Kroymann, flankiert durch Kreative mit Migrationsgeschichte wie Züli Aladag oder Ngo The Chau. Diese gendern so konsequent, als sei Baden-Baden Berlin-Mitte.

Eines scheint schon vor der Jury-Entscheidung am Freitag sicher. Den Nachwuchspreis MFG-Star gewinnt wohl Christina Ebelts makelloses Knast-Drama „Monster im Kopf“. Und sonst? Gewinnt die deutsche Fiktion. Weil sie, das zeigen auf dem Festival auch Diskussions-Panels von „40 – Altes Eisen“ über „Weniger Produktionen? Mehr Qualitätsfernsehen“ bis hin zum „Manifest für Drehbuch und Regie“, auf diverse Art experimenteller wird.