Spaziergang über die Europabrücke
Bis vor Kurzem wusste ich gar nicht, dass es sie gibt: die Europabrücke, die vom brandenburgischen Bienenwerder ins polnische Siekierki führt. Da musste erst meine Cousine aus Bayern zu Besuch kommen und einen Ausflug vorschlagen. Da ich im Sommer viel Zeit in Brandenburg verbringe, war es mir unangenehm, dass ich noch nie von dieser völkerverbindenden Brücke gehört hatte, umso mehr als ich sah, wie großartig sie ist. Ich will bald mit dem Kanu die Oder entlangfahren, dachte ich noch, euphorisiert von unserer Entdeckung.
Die Europabrücke wurde auf deutscher Seite erst kürzlich eingeweiht
Die Europabrücke Siekierki – Neurüdnitz ist auf polnischer Seite bereits seit 2021 fertig. Die deutsche Hälfte wurde Ende Juni 2022 eröffnet. Ein nistendes Uhu-Paar sorgte für Verzögerung. Seit diesem Sommer können Radler, Jogger und Spaziergänger auf kurzem Wege zwischen Brandenburg und Westpommern hin- und herwechseln, die schönen Radwege auf beiden Seiten nutzen.
In der Mitte der Brücke ist ein Aussichtsturm angelegt, von dem aus sich ein herrlicher Blick auf die Oderauen bietet.
Als wir an diesem Spätnachmittag Anfang August zum ersten Mal, fast ein bisschen feierlich nach Polen hinübergehen, sind etliche Menschen unterwegs. Man vernimmt leise Gespräche auf Deutsch und Polnisch. Ein Pärchen hat es sich auf den fest verbauten Sitzgelegenheiten auf der Brücke mit einer Flasche Sekt gemütlich gemacht.
Die Oder ist breit und ruhig an dieser Stelle, das Wasser mit grünen Seerosenblättern bedeckt. Wie muss es erst aussehen, wenn sie blühen! Auf zahlreichen Tafeln wird die reiche Flora und Fauna der Umgebung erklärt.
Völkerverständigung mittels Brücke
Die einstige Eisenbahnbrücke über die Oder war über Jahrzehnte gesperrt. 1892 eröffnet, führte sie von Godkow nach Wriezen. 1930 wurde eine neue Bahnbrücke gebaut und der vorhandene Teil zur Straßenbrücke umfunktioniert. Beide wurden Ende des Zweiten Weltkrieges gesprengt, die Strecke in den 1950er Jahren wieder aufgebaut und im Kalten Krieg militärisch genutzt.
Mächtige alte Pfeiler aus gelben Ziegeln stehen trutzig im Wasser. Wie schön, dass man in Europa auch in trüben Zeiten noch in Versöhnung und Verbindung investiert, denke ich bei mir.
Wenige Tage später schreibt meine Cousine: Hast du gesehen, die Oder ist verseucht? Tote Fische überall. Wieder fühle ich mich wie blind. Wir haben gar nichts bemerkt. War alles noch gut, als wir dort waren? Oder waren die Killeralgen schon unsichtbar am Werk? Es wird Zeit für einen zweiten Besuch.