Sehnsucht nach Sommernächten
Was für ein Gespann! Der scheue, in Sachen Selbstvermarktung nicht begabte Franz Schubert und der vor Selbstbewusstsein strotzende, den Skandal nicht scheuende Kulturmanager Hector Berlioz treffen in einem Konzert aufeinander. Ausgedacht hat sich dieses Rendezvous Pablo Heras-Casado, ein Dirigent von schier endloser stilistischer Spannbreite. Er animiert das ihm bestens vertraute Freiburger Barockorchester auch dazu, erstmalig in dessen gut drei Jahrzehnte währenden Geschichte überhaupt ein Werk von Berlioz auf die Pulte zu legen. Es ist ein gut vorbereiteter Ausbruchsversuch aus der Wiener Klassik, der Heras-Casado und die Freiburger mit ihren Beethoven-Zyklus zuletzt ausgiebig gehuldigt hatten.
Schuberts „Unvollendete“ erscheint in diesem Licht weniger als ein durch Krankheit schicksalhaft unterbrochenes Sinfonie-Projekt als ein heißes Bemühen, das Ausdrucksspektrum der Musik zu erweitern. Heras-Casado stellt sie an den Anfang im schütter besetzten Kammermusiksaal, in dem es viel Abstand zwischen den Besucher:innen gibt. Berührend die Verletzlichkeit, mit der die leicht brüchige Stimme der Klarinette über die Streicher weht. Die satte Süße dieses Instruments ist nurmehr in der Erinnerung vorhanden. Das Krafteverhältnis zwischen den sparsam besetzten Streichern und den Blechbläsern ist gespannt, Akzente schaukeln sich nicht langsam auf, sie schlagen zu wie aus dem Nichts.
Mezzosopranistin Marianne Crebassa fasziniert
Das ist aufregend anzuhören, zumal die Musiker:innen bereit sind, ins Risiko zu gehen und nicht immer nur makellose Klangware abliefern wollen. Doch Heras-Casados Kurs lädt auch zu Kurzschlüssen ein, wenn Schubert zu sehr in Richtung von Beethovens knackiger Eskalationslogik tendiert. Dabei hatte er sich singend auf den Weg gemacht, um in weiten Bögen unbekanntes Land zu entdecken.
Für den langen Atem ist an diesem Abend eindeutig Marianne Crebassa verantwortlich, deren Mezzosopran mit wundersamer Klarheit durch die schwankenden Gefühlswelten von Berlioz’ „Les nuits d’été“ wandelt. Nicht ein Hauch von Schwüle liegt dabei in ihrer Stimme, deren androgyne Züge den Beziehungsreichtum dieses Liederzyklus am Rande der Vergänglichkeit noch steigert. Ohne Crebassa nach der Pause noch Schuberts Fünfte zu hören, die Mozart huldigt, fällt überraschend schwer. Ein klassischer Fall von Vermissen.