Hertha BSC verliert in Braunschweig im Elfmeterschießen
Sandro Schwarz wirkte ein wenig in sich gekehrt. Wie ein Flaneur bewegte er sich an der Seitenlinie durch seine Coachingzone. Schwarz setzte bedächtig Schritt vor Schritt, den Kopf leicht gebeugt. Manchmal klatschte er, gab kurze Anweisungen, verteilte ein schnelles Lob. Und gelegentlich fuhr er aus seiner Haut. Dann schnellten seine Arme senkrecht in die Luft, spannte er den Körper wie einen Flitzebogen. Immer dann, wenn seine Mannschaft den Moment für ein schnelles Spiel in die Spitze verpasst hatte.
Eine Stunde lang gab es für Sandro Schwarz bei seinem Pflichtspieldebüt als Trainer von Hertha BSC nicht allzu viel zu bemängeln. Natürlich funktionierte noch nicht alles so, wie es irgendwann einmal funktionieren soll. Aber der Berliner Fußball-Bundesligist schien seine Aufgabe im DFB-Pokal gegen Eintracht Braunschweig mit der nötigen Souveränität und mit dem – für Hertha keineswegs selbstverständlich – gewünschten Erfolg zu erledigen.
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Doch Schwarz‘ Mannschaft machte es nach einer 2:0-Pausenführung gegen Eintracht Braunschweig, den Vorletzten der Zweiten Liga, noch einmal spannend, sah zwischenzeitlich wie der fast sichere Verlierer aus, dann wieder wie der mögliche Sieger, lag im Elfmeterschießen mit einem Fehlschuss hinten, kam zurück und verlor am Ende doch mit 5:6 (4:4, 3:3, 2:2, 2:0) im Elfmeterschießen. Während Oliver Christensen nur den Schuss von Anton Leander Donkor parieren konnte, vergaben auf Berliner Seite Marvin Plattenhardt und Marc Kempf.
“Wir sind alle extrem enttäuscht, weil wir wissen, wie wichtig dieser Wettbewerb für den Verein ist”, sagte Angreifer Davie Selke. “Aber wir dürfen jetzt auch nicht alles schlecht reden.”
Im sechsten Pokalduell scheiterte Hertha damit bereits zum fünften Mal an der Eintracht. „Und ihr wollt aus der Hauptstadt sein“, sangen deren Fans kurz vor Ende der Verlängerung. Pokalspiele in und gegen Braunschweig haben für Hertha schon fast etwas Rituelles. Zuletzt trafen beide Klubs in diesem Wettbewerb im Zweijahresrhythmus aufeinander. 2018 setzten sich die Gäste aus Berlin durch, 2020 – nach einem spektakulären Duell – die Braunschweiger. 5:4 siegten sie, damals ebenfalls als Aufsteiger aus der Dritten Liga.
Am Sonntagabend erlebte Hertha ein ähnliches Debakel, nach einem packenden, hochdramatischen Pokalduell und einem ebenso wilden Spielverlauf wie vor zwei Jahren. Schwarz hatte zwei Neuzugänge in der Startelf aufgeboten. Jonjoe Kenny verteidigte rechtsaußen in der Viererkette, Ivan Sunjic spielte im gewohnten 4-3-3-System als Solosechser. Chidera Ejuke saß zunächst auf der Bank, kam aber 20 Minuten vor dem Ende, als die Dinge sich urplötzlich zu Herthas Ungunsten gedreht hatten. Der neue Stürmer Wilfried Kanga, erst am Samstag verpflichtet, stand naturgemäß noch nicht im Kader.
Die Gäste bestimmten von Beginn an das Spiel, hatten deutlich mehr Ballbesitz und durch Myziane Maolida, einen der Gewinner der Vorbereitung, schon früh eine gute Chance zur Führung. Im Gegenzug aber hatte Hertha auch Glück, dass Immanuel Pherai nach einem langen Ball nicht genügend Wucht in seinen Abschluss brachte und der frühere Kapitän Dedryck Boyata kurz vor der Linie noch für den bereits geschlagenen Torhüter Oliver Christensen klären konnte.
Die Berliner sahen wie der sichere Sieger aus
Boyatas Nachfolger als Kapitän war es, der das Spiel für seine Mannschaft erst einmal in die gewünschten Bahnen lenkte. Marvin Plattenhardt war als Einziger bei den beiden vorangegangenen Pokalduellen beteiligt gewesen, hatte 2018 das Spiel sogar mit einem grandiosen Volleytreffer für Hertha entschieden. Diesmal gelang dem Linksverteidiger in der zehnten Minute die perfekte Flanke auf den Kopf von Davie Selke, der relativ unbehelligt zur Führung einköpfen konnte.
Selke hatte vor einem Jahr, in der ersten Pokal-Runde gegen den SV Meppen, ebenfalls das 1:0 für Hertha erzielt. Damals war es, kurz vor Schluss, der einzige Treffer gewesen. Am Sonntag in Braunschweig hätten es schon früh deutlich mehr sein können. Allein Maolida vergab zweimal recht kläglich. Zunächst setzte er den Ball aus fünf Metern unbedrängt über das Tor, dann scheiterte er, erneut nach Vorarbeit des äußerst umtriebigen Dodi Lukebakio an Braunschweigs Torhüter Jasmin Fejzic.
Kurz vor der Pause konnte aber auch der Franzose nichts mehr verkehrt machen. Nach einem Solo des Belgiers Lukebakio, der gleich drei Braunschweiger stehen ließ, musste Maolida am zweiten Pfosten nur noch den Fuß hinhalten, um aus drei Metern zum 2:0 für Hertha zu treffen.
Die Berliner sahen wie der sichere Sieger aus, dabei ließen sie durchaus noch Schwächen erkennen. Hertha wirkte vor allem dann anfällig und wenig gut sortiert, wenn Braunschweig schnell und mit langen Bällen umschaltete. Doch erst nach der Pause entwickelte die Eintracht, angefeuert von ihren Fans, echten Druck. Und brachte Hertha damit tatsächlich noch einmal in Probleme.
In den beiden bisherigen Zweitligabegegnungen hatten die Braunschweiger noch kein einziges Tor erzielt – gegen Hertha schossen sie zwei innerhalb von nur drei Minuten. Erst traf Bryan Henning, gebürtiger Berliner und früher einmal in Herthas U 23 aktiv, per Elfmeter, nachdem Boyata Pherai gefoult hatte, dann vollendete der eingewechselte Lion Lauterbach einen Konter zum 2:2. Die Berliner mussten in die Verlängerung, und in der war nicht mal eine Minute gespielt, da lagen sie sogar erstmals zurück. Wieder ließ sich Hertha auskontern, Marc Kempf verlor das Duell gegen Lauterbach, und in der Mitte vollendete Pherai zum 3:2.
Doch des Wahnsinns Ende war das noch lange nicht. Lucas Tousart traf mit einem abgefälschten Fernschuss zum Ausgleich, Lukebakio nur Sekunden nach Anpfiff zur zweiten Hälfte der Verlängerung zum 4:3. Das war der Moment, als auch Sandro Schwarz seine Beherrschung verlor. Er packte Co- Trainer Vedad Ibisevic mit beiden Händen am Nacken und schrie ihm seine Freude ins Gesicht. Er freute sich zu früh. Henning glich 90 Sekunden vor dem Ende erneut aus. Es folgte das Elfmeterschießen, das bittere Aus für Hertha – am Ende aber auch der ehrlich gemeinte Applaus der knapp 3000 Berliner Fans, die zumindest an der Mentalität ihrer Mannschaft nichts auszusetzen hatten.