Schwarze Superhelden im Sattel
Dass die Besiedlung das amerikanischen Kontinents eine weiße Angelegenheit war, ist historisch längst widerlegt, dank Büchern wie „Black Frontiers: A History of African American Heroes in the Old West“ oder der Essay-Sammlung „Black Cowboys in the American West“ über die vergessenen Biografien afroamerikanischer Pioniere. Auch aus der Popkultur ist der schwarze Cowboy dank Little Nas X nicht mehr wegzudenken. Hollywood tat sich dagegen lange schwer: Wann immer man einen schwarzen Revolverhelden brauchte, wurde eben Woody Strode engagiert.
Danny Glover und Mario van Peebles blieben eher Genre-Kuriositäten, bis Denzel Washington 2016 die „Glorreichen Sieben“ anführte. Der Western ist noch immer eine weiße Erzählung, obwohl gut ein Viertel der Farmarbeiter, Viehtreiber, Soldaten, Pistoleros und Gesetzeshüter Afroamerikaner waren.
Die Frage, wie das Western-Genre heute aussehen würde, wenn ein Idris Elba ein paar Jahrzehnte früher auf der Bildfläche erschienen wäre, ist rein hypothetisch. Jeymes Samuels Netflix-Produktion „The Harder They Fall“ kann die verlorenen Jahre nicht gutmachen, dafür überkompensiert er in jedem anderen filmischen Department. „Guns Go Bang“ rappt Jay-Z, auch ein Ko-Produzent, am Anfang zu rhythmischen Revolverschüssen, die Gesichter in der Titelsequenz gehören Jonathan Majors, Regina King, LaKeith Stanfield, Zazie Beetz, Delroy Lindo, RJ Cyler; und eben Idris Elba als baddest of the bad.
Er spielt den legendären Rufus Buck, Anführer einer Posse schwarzer und indigener Outlaws im späten 19. Jahrhundert. „The Harder They Fall“ versammelt ein gutes Dutzend vergessener People of Color aus der Pionierära zu einer Superheldentruppe des schwarzen Hollywood. Eine Geschichtsstunde liefert Samuel deswegen aber nicht ab, er erweist sich vielmehr als gelehriger Tarantino-Schüler.
Reggae und Hufgetrappel
Trudy Smith (King) erschießt den Zugführer eines Gefangenentransports, bevor der das „N-Wort“ auch nur aussprechen kann. Regisseur Samuel hat dabei natürlich „Django Unchained“ im Hinterkopf – im Gegensatz zu Tarantinos Film sind Weiße in seinem „Wilden Westen“ allerdings hoffnungslos in der Minderheit. Auch das Reggae-Drama „The Harder They Come“ von 1972, in dem Jimmy Cliff im Showdown auf seine Weise Corbuccis „Django“ zitiert, steht Pate: Das Titellied singt Dancehall-Shooting-Star Koffee, Lauryn Hill steuert einen neuen Song zum Soundtrack bei und zum Messerduell zwischen Treacherous Trudy und Stagecoach Mary (Beetz) läuft der Afrobeat Fela Kutis.
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Regina King, mit ihrem Regiedebüt „One Night in Miami“ gerade erst für einen Oscar nominiert, erzählte in einem Interview, dass sie für ihre Figur eine Art „New West“-Dialekt erfand, der den Cowboy-Slang mit ihrer karibischen Muttersprache verbindet. Man sieht „The Harder They Fall“ an, dass die Beteiligten ihren Spaß haben; es geht hier nicht darum, einen modernen Genre-Klassiker zu schaffen. Dafür ist die digitale Fotografie von Mihai Mälaimare Jr. zu glatt, sind die Schnitte zu angeberisch.
Auch die Rachegeschichte des Outlaws Nat Love (Jonathan Majors) – die reale Figur war ein ehemaliger Sklave – besteht aus nicht mehr als Genre-Versatzstücken. Samuel und sein Ko-Autor Boaz Yakin nehmen sich einige Freiheiten: „Obwohl die Ereignis dieser Geschichte fiktional sind. Existierten. Diese. Menschen.“, stellen sie gleich am Anfang klar.
Cherokee Bill (Stanfield) gehörte zu den berüchtigsten Männern seiner Zeit, der echte US–Marshal Bass Reeves (Lindo) verhaftete über 3000 Kriminelle. In „The Harder They Fall“ sterben sie wie die Fliegen, immer mit einem coolen Spruch auf den Lippen. Idris Elba sitzt nach “Concrete Cowboys” die Rolle inzwischen wie angegossen. Und auch der flüchtige Kuss zweier abgebrühter Revolverheldinnen muss 2021 keinen Western-Fan mehr irritieren. (Jetzt auf Netflix)