Richard Wagner und der innere Deutsche
Richard Wagners musikalisches Œuvre wird, zur Kunstreligion geadelt, auf Bayreuths Grünem Hügel zelebriert. Was aber lässt sich von und über Wagner zeigen, wenn es um eine Ausstellung geht?
Den Versuch unternimmt das Deutsche Historische Museum (DHM) mit seiner Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“, die schon im Titel den Schwierigkeitsgrad nochmals erhöht, indem sie etwas so Ungreifbares wie das Gefühl zu ihrem Gegenstand erklärt.
Der Anstoß zu diesem Unterfangen, sich parallel zur aktuellen Karl-Marx-Ausstellung mit Wagner zu befassen, kommt nicht zuletzt aus dem Biografischen. Wagner ist am 13. Februar 1883 in Venedig gestorben. Einen Monat später starb in London Karl Marx. Sie waren Zeitgenossen. Wagner, der um fünf Jahre ältere, wurde 1813 in Leipzig geboren, Marx 1818 in Trier.
Beide haben sich mit dem rasanten Wandel der Gesellschaft durch die Industrielle Revolution auseinandergesetzt, wobei sie noch im Biedermeier aufwuchsen, ehe sie die bürgerliche Revolution von 1848/49 mitriss und sie im reifen Alter ihre zwar gänzlich verschiedenen Antworten auf den Wandel fanden, aber doch darauf bezogen blieben. Für diesen Wandel zieht das DHM den Begriff des Kapitalismus heran.
Das war der Ausgangspunkt der Ausstellung; Karl Marx in diesem Kontext zu sehen, versteht sich von selbst. Bei Wagner ist der Zusammenhang ein vermittelter. Beide Ausstellungen, die einander auf zwei Etagen des Pei-Baus komplementieren, stellen den Zusammenhang über den Kapitalismus-Begriff her. So jedenfalls hatte das DHM sein – um zwei Monate versetztes – Ausstellungsdoppel angekündigt.
[Alle aktuellen Nachrichten bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]
Tatsächlich aber geht es nur in der Marx-Ausstellung um den Kapitalismus, in der Wagner-Schau hingegen um das titelgebende „deutsche Gefühl“. Dieses aber wird vorrangig an der Person Wagner herausgearbeitet, und bei einem so begnadeten Selbstdarsteller bedeutet das, dass das Biografische in der Ausstellung Vorrang hat.
Vier Gefühle benennen die Kuratoren Michael Steinberg und Katharina Schneider, jeweils zwei antagonistisch gegenübergestellt: Entfremdung und Zugehörigkeit, Eros und Ekel. Sie werden an Wagner selbst herausgearbeitet, um zu zeigen, was ihn an- und umtrieb, was ihm bewusst war, wie diese Gefühle zugleich im Unbewussten wirkten.
Das gelingt in der Begleitpublikation, eher ein Handbuch als ein Katalog, anhand von vier Essays naturgemäß besser als in einer Ausstellung, die Objekte als Belegstücke gebraucht und mit Fotos, Gemälden, Karikaturen, Bühnenbildern und -modellen eine wahre Materialflut aufbietet. Dazu erstaunlich viele Originalmanuskripte in makellos feiner Handschrift.
So dienen die „Meistersinger“ zur Illustration der „Zugehörigkeit“, im Sinne der nationalen Aufwallung nach der Reichsgründung 1871. „Entfremdung“ lässt sich anhand des „Tannhäuser“ begründen. „Eros“ ist das mit Blick auf Wagners vielfältiges Liebesleben dankbarste Gefühl, „Ekel“ hingegen da am interessantesten, wo der Begriff über die Bösartigkeit seines Antisemitismus’ hinausgeht.
Schon der Auftakt mit einer Bilderwand voller Wagner-Portraits macht deutlich, was den Besucher erwartet. Selbst der polizeiliche Steckbrief, der ihn nach der Flucht aus Dresden wegen Beteiligung am Aufstand von 1849 zum „politisch gefährlichen Individuum“ erklärt, zeigt einen adretten Aufsteiger.
Thema Kapitalismus: Wagner wandelt sich vom Künstler zum Kunst-Unternehmer
Im Zürcher Exil kommt er erstmals mit bürgerlich-unternehmerischem Reichtum in Kontakt. Jenseits der in der dort verfassten Programmschrift „Die Kunst und die Revolution“ geäußerten Vision vom unentgeltlichen Kunstgenuss sah er sich gezwungen, seinem bald errungenen Kreis von Gönnern jene Künstlerfigur vorzuspielen, der Verehrung und ergo finanzielle Unterstützung zuteil wird. Die „Marke“ Wagner war geboren: Die Ausstellung stellt sein bildprägendes Samtbarett wie den Gessler-Hut auf eine Stange.
Wagner wandelt sich vom bloßen Künstler zum Kunst-Unternehmer, darin liegt der biografische Zusammenhang zum Generalthema Kapitalismus. Es liegt nahe, seinen Antisemitismus – das berüchtigte, hier samt Manuskript ausgestellte Pamphlet „Das Judenthum in der Musik“ erschien 1850 und nochmals 1869 – wörtlich zu nehmen. Wagner hat sein Ressentiment in Paris gegenüber erfolgreichen Komponistenkollegen wie Meyerbeer ausgebildet. Dass Wagner mit dem „Tannhäuser“ 1861 ausgerechnet in Paris begeisterte Anhänger fand, zählt zu den Ironien in seinem Leben.
[Die Ausstellung ist im Pei-Bau des DHM zu sehen, bis 11. September. Fr-Mi 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr. Begleitbuch (wbg Theiss), 25 €. Weitere Infos: www.dhm.de]
Im Katalog weist Herfried Münkler darauf hin, dass Wagner neben den Juden als Protagonisten der Moderne stets die „Philister“ in den Blick nimmt, „die bornierten Anhänger des Alten und Vertrauten“. Was Wagner in der Figur des Juden auch sieht, ist der Kapitalist, und das heißt: der Bourgeois jenseits der Nation.
Im “Ring des Nibelungen“ erscheint der Kapitalismus in historischer Verkleidung. Und der die „Meistersinger“ grundierende Nationalismus lässt sich verstehen als Ressentiment gegenüber der Bourgeoisie, die alle nationale Schranken durchbricht. Freilich, Wagner selbst zieht sich auf die Ideologie einer ausschließlich den Deutschen eigenen Innerlichkeit zurück.
Am Ende geht jede tief schürfende Interpretationen womöglich in die Irre. In einer Vitrine ist ein Backenzahn Wagners zu entdecken. „Der Zahn muss Richard Wagner unglaubliche Schmerzen bereitet haben“, liest man im Katalog: „Die Karies ist bis zur Zahnwurzel vorgedrungen.“ Was, wenn Wagners Wütereien womöglich dem wehen Zahn geschuldet sind? Ein Weisheitszahn war’s jedenfalls nicht, sondern nur ein im Kiefer verbliebener Milchzahn. Und, wie er da in der Vitrine liegt, ein Objekt des Ekels.