Nationalelf nach den Testspielen: Julian Nagelsmann ist der Gewinner unter Gewinnern
Am Dienstagabend gab es einige strahlende Gewinner im Frankfurter Stadion. Da waren Jamal Musiala und Florian Wirtz, die Fußball-Deutschland einmal mehr gezeigt haben, dass sie besser mit als ohne einander auf dem Platz funktionieren. Da war Rückkehrer Toni Kroos, der spielte, als sei er nie weg gewesen oder Neuling Maximilian Mittelstädt, der deutlich mehr Höhen als Tiefen in seiner Leistung zeigte.
Der größte Sieger des Abends war aber Bundestrainer Julian Nagelsmann. Der 36-Jährige hat sich seit seinem Amtsantritt im September immer wieder getraut, mit Traditionen und vermeintlichen Tabus zu brechen. In dieser letzten Länderspielpause vor der Europameisterschaft im eigenen Land ist er mit einem völlig umstrukturierten Kader aber wohl das größte Risiko eingegangen. Für diesen Mut ist er nun mit den Siegen gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) belohnt worden.
Nagelsmann hat es geschafft, Schwächen bei der deutschen Nationalmannschaft zu erkennen und diese klar zu benennen. Nach außen, aber auch nach innen. In den vergangenen Jahren wurde im Kreise der deutschen Nationalmannschaft nur selten derart häufig von Rollenbildern gesprochen, zumindest in der Außenwahrnehmung. Nagelsmann hat auf allen Positionen wichtige und schwierige Entscheidungen getroffen und diese seinen Spielern nachhaltig kommuniziert.
Angefangen im Tor, in dem er sich nun auf Manuel Neuer als Nummer eins festgelegt hat und daran auch festhält, obwohl sich Neuer verletzt hat und keines der Testspiele bestreiten konnte. Marc-Andre ter Stegen bleibt also beim nächsten großen Turnier vermutlich wieder nur die Reservistenrolle. Dass er diese aber ausfüllen kann und möchte, hat er in den beiden jüngsten Spielen gezeigt.
In der Defensive hat sich der Bundestrainer in der Innenverteidigung für Antonio Rüdiger und Jonathan Tah entschieden. Einzig Verletzungen könnten daran bis Juni wohl noch etwas ändern. Derzeit gibt es keinen zentralen Defensivspieler, der einen der beiden verdrängen könnte. Am nächsten dran ist Waldemar Anton, der im Gegensatz zu Robin Koch immerhin ein paar Minuten Einsatzzeit bekam.
Er war herausragend. Das Beste ist, er ist ein völlig normaler Typ, ein unfassbar lieber Kerl, freundlich, immer gut gelaunt.
Julian Nagelsmann über Maximilian Mittelstädt
Auf der Position der Außenverteidiger scheint Nagelsmann mit Joshua Kimmich und Maximilian Mittelstädt das wohl größte Problem der Vergangenheit bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gelöst zu haben. Beide spielten stark auf, für Mittelstädt sprach Nagelsmann aber ein besonderes Lob aus. „Er war herausragend. Das Beste ist, er ist ein völlig normaler Typ, ein unfassbar lieber Kerl, freundlich, immer gut gelaunt“, sagte Nagelsmann.
Zwar leistete sich der Spieler vom VfB Stuttgart einen Aussetzer, der zum Gegentor führte, „dann ballert er das Ding aber aus 18 Metern in den Winkel.“ In dieser Form sei Mittelstädt für den Bundestrainer eine Option für die erste Elf bei der EM. Und Mittelstädt? „Ich wäre froh, wenn ich dabei wäre“, sagte der gebürtige Berliner. „Jetzt gilt es, meine Leistung beim VfB zu bestätigen“, sagte er.
Auf der Doppelsechs hat sich die Rückkehr von Toni Kroos enorm positiv ausgewirkt. Sowohl Robert Andrich als auch Pascal Groß haben sich dabei als gute Ergänzung neben ihm präsentiert. Auch die Reihe davor mit Kapitän Ilkay Gündogan, Jamal Musiala und Florian Wirtz harmoniert von Spiel zu Spiel besser. Wobei Gündogan aus diesem Trio wohl noch am meisten Luft nach oben hat.
Nagelsmann hatte angekündigt, sofern alle Spieler fit bleiben, nur eine bis zwei Änderungen vornehmen zu wollen hinsichtlich des EM-Kaders.
Leroy Sané wird ins Nationalteam zurückkehren
Eine davon dürfte die Nominierung von Leroy Sané sein. „Er ist außergewöhnlich gut. Er weiß, was es bedeutet, eine Heim-EM zu spielen. Er muss sich eingliedern, in diese funktionierende Gruppe“, sagte Nagelsmann und ergänzte: „Ich bin überzeugt, dass Leroy seine Qualitäten zu hundert Prozent in den Dienst der Mannschaft stellt. Und auf die werden wir auf keinen Fall verzichten, wenn er gesund ist.“
Ganz vorne war Kai Havertz in beiden Spielen zunächst gesetzt und überzeugte mit seiner Variabilität. Während Niclas Füllkrug als klassischer Stoßstürmer fungiert, der meist auf seine Torchancen wartet, kann Havertz auch mit Ball oder tiefen Laufwegen Spielzüge kreieren. Da beide Varianten funktioniert haben, ermöglicht das Deutschland eine gewisse Unvorhersehbarkeit im Sturm für kommende Gegner.
Nach den zehn Tagen dieser Abstellungsperiode zeigte sich Nagelsmann nun hoch zufrieden mit der Leistung seiner Mannschaft. „Es war eine sehr gute Mischung zwischen einem sehr guten Verhältnis, aber auch einem brutalen Ehrgeiz, auch im Training“, sagte er. „Aber es war nicht alles perfekt. Wir verfallen in keine Hysterie und sehen alles nur positiv, sondern es gibt super Dinge zu analysieren.“ Trotzdem blickt er vor allen Dingen hoffnungsvoll auf die Heim-EM. „Weil der Spirit ganz anders gewesen ist als der im November.“