Mythos Matisse: Das Kunstmuseum Basel zeigt ein anderes Bild der Fauves
Was wilde Tiere interessiert, aber vor allem: wie sie sehen, wird Louis Vauxcelles herzlich wenig interessiert haben. Für ihn war das Wort „Fauves“ eine Schmähung, mit der er einen Teil der Pariser Künstler überzog. Ein Kampfbegriff gegen rotes Wasser, grüne Himmel und gelbe Gesichter. Die Welt stand Kopf im Herbstsalon von 1905, und Vauxcelles war als Kunstkritiker mit akademischem Verständnis dringend daran interessiert, sie zurück auf die realen Füße zu holen.
Doch was heißt schon real? Wenn „Henri Matisse, André Derain und ihre Freunde“ den Himmel über dem südfranzösischen Fischerdorf sich rot färben sehen, dann ist das so. Es blieb dabei: Die „Fauves“ ließen sich nicht mehr zähmen, das Interesse stieg stetig und wenn Vauxcelles heute ein Museum beträte, fände er von den damals von ihm favorisierten Malern kaum noch ein Bild vor.
Leihgaben aus den USA
und aus privaten Sammlungen
Auch das Kunstmusem Basel macht keine Ausnahme, sondern feiert mit der gleichnamigen Ausstellung die Pariser Avantgarde am Beginn des 20. Jahrhunderts und ihre Farbexperimente. Matisse, Derain, Maurice de Vlaminck, Georges Braque und Albert Marquet bildeten eine lockere Künstlergruppe. Regelmäßig reiste man nach Collioure an die Küste, um gemeinsam in der Natur zu malen. Die Metropole hatte ihre eigenen Themen, denen sich die Gruppe in den übrigen Monaten widmete – und ein Publikum, das die Malerei der Avantgarde zu schätzen wusste. Sie wurde tonangebend in Paris, und der Versuch der Skandalisierung durch Vauxcelles machte die Fauves bloß noch anziehender.
Die Schau zündet tatsächlich ein Feuerwerk. Knapp 160 Werke hat sie zusammengetragen, zu sehen sind Landschaften, Stillleben, urbane Szenerien und Porträts; darunter Leihgaben aus den USA oder von privaten Sammlern, die ihre Bilder nur selten herausgeben. Überzeugt haben wird sie das Konzept jener Sonderausstellung, die weit mehr sein will als ein visuelles Highlight. Mit der Konzentration auf die 1904 bis 1908, der Gegenüberstellung von städtischen und ländlichen Motiven sowie einer kritischen Rekonstruktion dieser kurzen, heftigen Phase kommt das kuratorische Projekt zu neuen Einsichten.
Auch Künstlerinnen prägten
die vielfältige Gruppe
So wird aus den originären Lichtgestalten wieder eine Gruppe. Ein Star wie Matisse steht neben Marquet, dessen Arbeiten zwar zweimal auf der Documenta in Kassel (1959 und 1964) zu sehen waren, der jedoch nie einen ähnlichen Status erreichte. Damals ließ man sich gemeinsam von Vincent van Gogh als Pionier des ausgehenden 19. Jahrhunderts begeistern, nahm Bezug auf die verpönte naive Kunst und genoss alle Aufmerksamkeit. Damals gehörten auch Marie Laurencin und Émilie Charmy dazu – zwei Künstlerinnen, die irgendwann aus dem Fokus gerieten und seit geraumer Zeit wiederentdeckt werden. Völlig zu Recht, denn beider Werk behauptet sich souverän neben den weitaus berühmteren Malern.
Dazu gesellt sich Berthe Weill. Die französische Kunsthändlerin gründete 1901 eine Galerie und zeigte die Farblandschaften der Fauves, obwohl sich mit ihnen anfangs kaum Geld verdienen ließ. Vielmehr bestritt – auch das macht die Ausstellung mithilfe von Fotografien und zahlreichen Gemälden anschaulich, in denen Matisses Frau in modischen Ensembles auftaucht – die Designerin Amelie Matisse-Parayre über Jahre mit ihren Stoff-Designs, Hüten und Teppichen die finanzielle Existent der Familie. Es machte schon einen Unterschied, ob man sich von der subjektiven, unmittelbaren Malerei der Fauves inspirieren ließ. Oder sie kaufte.
So kommt „Matisse, Derain und ihre Freunde“ en passant auf die Rolle des Kunstmarktes zu sprechen. Ein Aspekt, den viele institutionelle Ausstellungen bis heute lieber ausklammern. In Basel, wo es seit Jahrzehnten keine große Präsentation der Fauves mehr gab, arbeiten die Kuratoren und Kuratorinnen nun vieles auf.
Sie deuten die Pariser Straßenszenen, gehen der Geschichte einer jungen Frau nach, die belogen, vom Land in die Metropole gelockt und hier zur Prostitution gezwungen wurde, widmen sich der aufkommenden Werbe- und Tourismusindustrie und gleichen die Malerei mit der Wirklichkeit ab, was eine spektakuläre Privatsammlung mit Alltagsfotografie ermöglicht. Bis sich die wilden Tiere der Malerei nach 1908 vom Kubismus besänftigen ließen.