Maggie Rogers legt zweites Album „Surrender“ vor
Als junge Studentin entdeckt Maggie Rogers in Berlin den Techno für sich – wie unzählige Menschen vor und nach ihr. Allerdings beeindruckt der Clubbesuch sie derart nachhaltig, dass sie anschließend eine Weltkarriere startet – was nun nicht ganz so viele von sich behaupten können. Zurück in New York überdenkt Rogers ihre eigenen Produktionen und beginnt, Banjo und Gitarren mit elektronischen Elementen zu verbinden. Sie schreibt den Song „Alaska“, eine betörende Folktronica-Popnummer, die 2017 ein Hit wird. Zwei Jahre später erscheint ihr Album „Heard It In A Past Life“, sie wird als Best New Artist für einen Grammy nominiert und tourt um die Welt.
Seither steht die 28-Jährige für großflächig angelegten Pop, der ernsthaft und schlau ist und gleichzeitig viel Spaß macht – es zieht sie in die Richtung von Lorde, Harry Styles oder Florence + The Machine. Maggie Rogers hatte mit „Alaska“ ein Momentum, es war ihre Stunde Null als internationaler Star, auch weil Superproducer und Sänger Pharrell Williams den Song überschwänglich lobte.
An ihrem Selbstverständnis hat das allerdings nichts verändert: „Schau mal, ich habe schon immer Musik gemacht – unabhängig davon, wie die letzten paar Jahre aussahen, würde ich heute auch weiterhin Musik machen“, erklärt sie im Zoom-Call. „Es ist einfach die Art, wie ich mich durch mein Leben bewege.“ Und man glaubt zusammen mit ihr, dass es egal wäre, ob sie ihre neue Single bei Late-Night-Größe Jimmy Fallon vorstellt oder in irgendeiner kleinen Bar in New York. Maggie Rogers gibt ihrem Gegenüber das Gefühl, sie sei eine aus dem eigenen Freundeskreis. Eine, die zwar irgendwie eine Überfliegerin ist, mit der man sich aber auch bei einem Kneipengespräch über den Zustand der Welt festquatschen kann.
Die Welt – und nicht nur die der Musik – scheint Rogers generell zu interessieren. So machte sie im Juni ihren Master an der Harvard Universität im Fach „Religion and Public Life“. Es ist ein neuer Studiengang, der religiöse Strukturen im Weltlichen betrachtet. Rogers wendet ihr Wissen bereits eifrig an. „Musik und Konzerte können etwas tief Religiöses haben“, sagt sie. Das Zusammenkommen, das Feiern, es ist ein Ritual, bei dem Menschen sich nah sind, einfach weil sie dasselbe erleben und eine Weile eine Einheit bilden. Also genau das, was dank Pandemie zwei Jahre nicht ging. Aber man kann sich mit den Dingen, die fehlen, ja auch im Studium beschäftigen – oder beim Songwriting.
Entfesselt vor ungezähmter Freude
Maggie Rogers bezeichnet ihre gerade erschienene zweite Platte als „ungezähmte Freude“. Und tatsächlich wirkt die Musikerin auf „Surrender“ (Universal) entfesselt. In „Want Want“ erfreut sie sich an der eigenen Begierde – auch wenn die Beziehung zur begehrten Person hin und wieder holpert. Im Track „Be Cool“ wünscht sie sich die Unbeschwertheit eines Teenagers zurück: Betrunkene Sommerabende, zu Britney Spears abgehen und das Leben einfach nicht so ernst nehmen. Es ist eine kleine Hymne für mehr Selbstakzeptanz: „And know that race car running round your heart, will always be a part of you“ singt sie. In „Horses“ lotet Rogers die Ambivalenz von Wollen und Brauchen aus – und erzählt, wie sie beim Rauchen an Oralsex denkt.
Persönlich wird es im Song „I’ve Got A Friend“, in dem es um eine Freundin geht, die im Leben irgendwann unglückliche Abzweigungen nimmt. „Es ist eine schreckliche Erfahrung zu sehen, wie ein geliebter Mensch leidet“, erzählt Rogers. Musikalisch ist vor allem dieser Song überraschend: Ein verspieltes Piano löst einfache Gitarrenakkorde ab, und aus einem simplen Song wird ein kleines Juwel. Der diesjährige Grammy-Abräumer Jon Batiste spielt das Klavier. Aufgenommen wurde in den Electric Lady Studios, dem legendären von Jimi Hendrix gegründeten Studio in New York. Rogers gibt zu, dass es ein Meilenstein für sie war, hier aufnehmen zu dürfen. Batiste sei im Raum nebenan gewesen. „Wir sind Freunde, und er kam rüber und hat es eingespielt.“ Auch die Musiker*innen Clairo und Claud seien dort gewesen. Zusammen habe man auf dem Dach abgehangen und etwas getrunken. „Ich habe sie spontan gefragt, ob sie mitsingen wollen – das haben sie dann gemacht.“
Maggie Rogers sucht die Konfrontation
Rogers betreibt kein Namedropping, um sich zu profilieren, sondern um ihre tiefe Bewunderung für diese talentierten Menschen in ihrem Orbit auszudrücken. Viele ihrer Freund*innen sind auch ihre Held*innen. Etwa der Musiker und Produzent Kid Harpoon, unter anderem aktiv für Harry Styles oder Shawn Mendes, mit dem sie schon auf dem ersten Album zusammenarbeitete und auch hier wieder gemeinsame Sache macht. Die beiden weichen auf „Surrender“ vom Elektro-Pop ab, für den Rogers bekannt ist und werfen sich in den derzeitigen Neunziger-Trend: Rogers holt sich Grungegitarren ran, verschwendet Rhythmen und legt sich in die Power-Hymnen. Das erinnert ganz wunderbar an Fiona Apple, an Meredith Brooks und vor allem an eine moderne Variante des Sounds von Alanis Morrisette. „Warum nennst du nur Frauen?!“ fragt Maggie Rogers. „Das verstehe ich nicht, alle vergleichen diese Platte nur mit anderen Musikerinnen. Was ist mit den Jungs? Ich selbst habe viel an U2 und Oasis gedacht, als ich im Studio war“, sagt Rogers – und recht hat sie: Breitwand-Pop kann „Surrender“ genauso gut wie U2.
Erwartungen geht Maggie Rogers aus dem Weg, indem sie die Konfrontation sucht. Eine gute Strategie, wenn das eigene Debüt so überaus erfolgreich war und alle einen bereits als Wunderkind gehandelt haben. Liegt aber vielleicht auch daran, dass Rogers zwischen Album eins und Album zwei viel Zeit hatte, um zu sich zu kommen. Als die Pandemie beginnt, beendet die Musikerin gerade eine jahrelange Tour-Phase. Sie braucht dringend eine Pause und verkriecht sich bei den Eltern auf dem Land.
Dort macht sie zunächst gar keine Musik und fängt irgendwann aus Langeweile an, Beats zu bauen. „Ich habe mich daran erinnert, wie viel Spaß mir das macht. Ich habe rumgedaddelt, ohne ein konkretes Ziel, daraus sind dann Songs entstanden.“ Diese Ziellosigkeit verleiht Rogers’ Musik eine Unmittelbarkeit und eine Naivität, die nur ohne Vorsatz funktionieren kann. Genau deshalb hat sie das Album „Surrender“ genannt: Sie wolle aktiv vor den eigenen Gefühlen kapitulieren, sagt sie. Kapitulation – ist das nicht etwas Passives und damit auch negativ behaftet? Sie denkt nach. „Nein. Ich habe mich entschieden, mich hinzugeben. Das sehe ich durch und durch als etwas Gutes!“