Honig tropft auf den Schuh
Ana Prvački musste nicht erst anreisen, um ihr Stipendium am Gropius Bau anzutreten: Die serbische Künstlerin lebt ohnehin in Berlin. Vergangenes Jahr durfte man ihr im Rahmen von „Die Balkone2“ – eine Ausstellung, die wegen Corona ausschließlich draußen stattfand und bloß von der Straße aus angeschaut werden konnte – auf die heimische Veranda in Prenzlauer Berg sehen.
Vor ein paar Tagen hat sie als Mentorin am „Forecast Forum 2022“ teilgenommen, das junge Künstler:innen von überall her ins Radialsystem einlädt, um zukunftsweisende Ideen zu realisieren – eine Woche intensive, an die eigene Substanz gehende Arbeit liegt gerade hinter ihr. Und auch jetzt gibt Ana Prvački Einblick in ihr Denken und Leben, das immer wieder von einer Substanz bestimmt wird. Vom Honig.
Der Großvater vererbt ihr Honig
500 Kilogramm, erzählt die 1976 nahe Belgrad geborene Künstlerin, habe ihr der Großvater bei seinem Tod vererbt. Und Ana Prvački, die sich auch davor schon mit dem Thema Bienen auseinandergesetzt hat, weil es in ihrer Familie immer Imker gab, saß hochschwanger plötzlich mit einem vermeintlichen Schatz da. So viel Honig, mit dem sich hätte arbeiten lassen; für die eigene Gesundheit ebenso wie für die Kunst.
Er sei dann verstrahlt gewesen, sagt sie und vergisst nicht, den Grund dafür zu nennen. Die Bombardierung von Belgrad durch die Nato 1999 habe ihr Erbe unbrauchbar gemacht. Aber die Bienen sind zum festen Bestandteil ihrer Kunst geworden. Sie liebt die Tierchen, findet sie sympathisch bis überlebenswichtig und lernt immer mehr über ihr Verhalten wie auch die mythischen Hintergründe.
All das dokumentiert „Apis Gropius“ als Augmented Reality Experience im Gropius Bau, wo es im Lichthof summt und fliegt – wenn man mit einem der Tablets durch den Ausstellungsraum spaziert, die an der Kasse ausleihbar sind. Andernfalls bleibt die zentrale Halle leer, Ana Prvačkis Erzählung von einem Schwarm, der sich in einer der schwarz verkleideten Säulen niedergelassen hat, ist pure Fiktion.
Aber nicht undenkbar: Schließlich war das ehemalige Kunstgewerbemuseum nach 1945 eine Ruine, sollte abgerissen werden und hat allein durch die Intervention von Bauhaus-Gründer Walter Gropius überlebt, dessen Großonkel das Haus um 1880 errichtet hatte.
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Diese Bienen also strömen in Scharen aus der Säule. Sie bestäuben Blüten, die aus dem steinernen Boden wachsen, dessen Fliesen jedoch tatsächlich Blumenmuster zeigen. Und im Hintergrund schwärmt die Künstlerin von den klugen Organisationsformen jener Insekten, ihrer Lebensart, Baukunst und existenziellen Funktion für den Menschen. Eigentlich, so Ana Prvački, seien sie die Gastgeber der Menschen auf diesem Planeten.
Entsprechend höflich bewegen sich die Besucher:innen durch den Raum, wo am Ende des knapp 20-minütigen Rundgangs schließlich riesige Waben vom Dach des Gropius Baus herabhängen. Aus ihnen tropft es, der gelbe Honig hält sich so gerade in den parabolförmigen Strukturen. Ein Bekannter habe beim Rundgang durch die virtuelle Ausstellung schnell den Schuh weggezogen, erinnert sich Ana Prvački – aus Furcht vor der klebrigen Masse.
[„Apis Gropius“, Gropius Bau, Niederkirchnerstr. 7, Mi–Mo 10–19, Do 10–21 Uhr]
Das spricht für die optische Überzeugungskraft von „Apis Gropius“, laut Künstlerin die erste Arbeit ihrer Art überhaupt im Gropius Bau. Man glaubt es kaum, schließlich wird hier seit Jahren Gegenwartskunst gezeigt. Dennoch haben vorangegangene Medienkünstler wie Philippe Parreno oder Ed Atkins hier vor allem filmisches Material präsentiert; virtuelle Realitäten entfalteten sich nur innerhalb dieser Arbeiten.
Sie ist die erste Stipendiatin für Digital Art
Ana Prvački Beitrag ist tatsächlich eine Premiere, sie selbst überhaupt die erste, die das Stipendium „Digital Artist in Residence“ erhalten hat. Bleibt zu hoffen, dass das von Noch-Direktorin Stephanie Rosenthal initiierte Projekt auch nach ihrem Weggang in wenigen Wochen bestehen bleibt. Es erweitert die künstlerischen Ausdrucksformen vor Ort um einen immersiven Zweig, der künftig noch viel wichtiger, wenn nicht selbstverständlich wird.
„Apis Gropius“, vorerst dauerhaft zu sehen, schafft aber noch etwas. Der Eintritt ist frei, man kann den Lichthof ohne Ticket betreten, muss sich nur für das Tablet am Schalter eintragen. Ana Prvački besteht auf freiem Zugang zu ihrer Kunst. So hält sie es immer, egal ob 2010 im Centre Pompidou oder zwei Jahre später in Kassel auf der Documenta 13. In Paris ließ sie Musiker durch das Gebäude ziehen, die tägliche Klangübungen machten; in Kassel heuerte Ana Prvački Coaches an, die das Personal der Großausstellung in Höflichkeit trainierte.
Ihre Kunst ist immateriell, auch dort, wo keine komplexe Technik ins Spiel kommt. Dafür hinterlässt sie Eindruck, eine Spur im Bewusstsein, die nicht so schneller wieder vergeht. Mehr scheint Ana Prvački nicht zu beabsichtigen. Es ist aber auch nicht wenig. Bienen, selbst wenn sie nicht wie in „Apis Gropius“ das filigrane Muster der gläsernen Oberlichter auf ihren Flügeln trägt, schaut man danach anders an.