Der Unmut gegen Leroy Sané erinnert an den Fall Mesut Özil

Die seelische Unterstützung, wenn man sie als solche bezeichnen kann, kam von ganz oben. „Ich habe Mitleid mit ihm. Er bemüht sich, hat aber kein Selbstvertrauen“, sagte Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München am Montag bei Bild Live. Doch Mitleid ist vermutlich das Letzte, was Leroy Sané in diesen Tagen hören will. Wobei das nicht richtig ist. Schlimmer noch ist der höhnische Applaus der Fans nach der eigenen Auswechslung.

Selbiges hatte sich am Sonntag zugetragen. Sané tat sich schwer beim knappen 3:2-Erfolg seiner Bayern im Heimspiel gegen den 1. FC Köln. Der 25-Jährige war tatsächlich bemüht, wie es Rummenigge formulierte, er rannte viel. Doch das Sich-Bemühen ist im Profisport der kleine Bruder von Versagen. Als Bayerns Trainer Julian Nagelsmann die Bemühungen Sanés nach 45 Minuten beendete und für ihn den späteren Matchwinner Jamal Musiala einwechselte, brandete Jubel in der Münchner Arena auf.

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Wer es gut meint mit Sané, wird sagen, dass der Applaus dem großen Talent Musiala galt. Für alle anderen ist der Fall unzweideutig: Sané ist nicht besonders gut gelitten bei den Bayern-Fans. Im Gegenteil: Viele wünschten sich inzwischen, der Verein hätte ihn nie geholt.

Im vergangenen Sommer war Sané für 45 Millionen Euro von Manchester City zum FC Bayern gewechselt. Mit Bonuszahlungen könnte sich die Summe auf rund 60 Millionen Euro erhöhen. Das ist viel Geld für einen Spieler – selbst dann, wenn er Leistung bringt und die Fans ihn ins Herz geschlossen haben.

Bei Sané ist bislang beides nicht der Fall. Die Enttäuschung in München ist riesig, weil die Erwartungen in den Spieler so groß waren wie lange nicht mehr. Der Sané-Transfer sollte beweisen, dass die Bayern auch auf dem Transfermarkt in der Liga der Großen mitspielen können. Und auch für die Fans sollte er ein Geschenk sein. Sané war ein Versprechen für Spektakel auf dem Rasen. In der Premier League war er 2017/18 zum besten Nachwuchsspieler gewählt worden.

Dennoch ließen sowohl sein Klubtrainer Pep Guardiola als auch Bundestrainer Joachim Löw durchblicken, dass der mit großem Talent gesegnete Fußballer etwas seriöser seiner Profession nachgehen könnte. Es hatte hier und da Spiele gegeben, in der Sané eher nachlässig seinen Aufgaben auf dem Platz nachgekommen war. Die Bayern-Verantwortlichen schreckte dies nicht von dem Transfer ab. Sie sahen vielmehr die Herausforderung, den jungen Mann im besten Sinne zu domestizieren – zum Musterprofi.

Das große Spektakel ging bislang nicht von Sané aus

Bislang ist das nicht gelungen. In seiner ersten Saison bei den Bayern spielte Sané meist bemüht mit. Das große Spektakel auf den Außenbahnen ging eher von Serge Gnabry oder Kingsley Coman aus. Aus dem vermeintlichen Transfercoup ist ein Problemfall geworden. Nach wie vor haftet Sané eine unvorteilhafte Lässigkeit an. Viele stören sich an seiner Körperhaltung. In sozialen Medien wird ihm zudem Charakterschwäche unterstellt. Er sei abgehoben, lautet ein Vorwurf. Es besteht kein Zweifel: Sané ist zum Buhmann geworden.

Man kennt solche unschönen Eigendynamiken im Fußball. Aus Helden werden schnell Verlierer gemacht. Der frühere Nationalspieler Mesut Özil war von einem Tag auf den anderen nicht mehr der technisch hochveranlagte Weltmeister, sondern nur noch ein schlampiges Genie (mit verbesserungswürdiger Körperhaltung), das sich gern mit Autokraten umgibt.

Leroy Sané ist von einer solchen öffentlichen Vernichtung noch entfernt. Doch der Druck auf ihn nimmt mit jedem misslungenen Dribbling, jedem Fehlschuss zu. Dabei ist es genau das, was Sané in noch jüngeren Jahren zu einem der spannendsten Außenspieler Europas gemacht hatte. Auf ein, zwei verkorkste Aktionen folgte oft eine geniale. Sollte die Angst vor Fehlern künftig sein Spiel beherrschen, würde er sich seiner größten Stärke berauben.

Bei den Bayern sind sie nun bemüht, ihren Spieler zu schützen. „Ich erwarte mehr Unterstützung für uns Spieler von den Fans“, sagte Nationalspieler Thomas Müller bei „Sport 1“. Wegen der Unmutsbekundungen gegen Sané war am Montag fast ein bisschen untergegangen, dass der Klub den Vertrag mit Joshua Kimmich um zwei Jahre bis 2025 verlängerte. Kimmich gilt als ungemein ehrgeiziger und seriöser Fußballprofi. Er ist der Musterprofi, den die Bayern auch aus Sané machen wollen. Aber es lässt sich im Leben und im Fußball nicht immer alles erzwingen – gerade das machte lange das Spiel von Leroy Sané aus.