Hollywoods Hoffnungen sind auf Sand gebaut
Die wirklich spannende Frage, die Denis Villeneuves „Dune“ aufwirft, lautet ja eigentlich: Wie erfreut sind die Studiobosse bei Warner wohl, dass das Science-Fiction-Epos des kanadischen Regisseurs eher an eine postkoloniale Version von „Lawrence von Arabien“ erinnert? Und eben nicht an das knuffige „Star Wars“-Franchise, bei dem die Autorenhandschrift notfalls hinter den Bedürfnissen der Fans zurückstehen musste?
Villeneuve hat immer betont, dass sein Herzensprojekt „Dune“ in die Kinos gehört – und nicht auf die Streamingplattform HBO Max. Dieser Wunsch verbindet ihn mit seinem zunehmend unzufriedeneren Kollegen Christopher Nolan, dessen „Tenet“ vergangenes Jahr die kommerziellen Erwartungen von Warner enttäuschte – und der inzwischen öffentlich seinem Missfallen über die Politik seines Studios Ausdruck verleiht.
„Dune“, der vor einigen Tagen auf dem Filmfestival Venedig seine Weltpremiere hatte, kommt nun nach einem Jahr Wartezeit als postpandemischer Hoffnungsträger der US-Branche in die Kinos (in zwei Wochen folgt der ebenfalls ein Jahr geschobene Bond-Film „Keine Zeit zu Sterben“). Es dürfte interessant sein zu beobachten, wie der seriöse Blockbuster „Dune“ zwischen Superheldenfilmen und Godzilla-Franchises noch in die aktuelle Filmlandschaft passt.
An Frank Herberts Chronik über intergalaktische Dynastien im Jahr 10.000 haben sich schon ganz andere Irre die Zähne ausgebissen: Mitte der Siebziger der Kino-Psychedeliker Alejandro Jodorowsky, den an der Vorlage die halluzinogene Droge Spice vom Wüstenplaneten Arrakis am meisten interessiert haben dürfte. Nur wollte in Hollywood niemand die 15-Millionen-Dollar-Produktion mit Salvador Dalí, Orson Welles und den Entwürfen von HR Giger finanzieren. Und natürlich David Lynch, dessen Verfilmung von 1984 als einer der faszinierendsten Unfälle der Kinogeschichte heute eine treue Fan-Gefolgschaft hat. Seitdem galt Herberts Epos als unverfilmbar.
Die Galaxie wartet auf die Ankunft des Erlösers
Mit seinem Versprechen, einen „Star Wars für Erwachsene“ zu drehen, nähert sich Villeneuve, der mit Jon Spaihts und Eric Roth auch am Buch schrieb, wieder den weiterhin aktuellen Themen des Roman-Zyklus an: Kolonisation, die Ausbeutung von Ressourcen, das Verhältnis von Politik und Religion. Allerdings behandelt er den in den Sechzigern noch weit verbreiteten Populär-Mystizismus der Vorlage mit demselben heiligen Ernst wie später George Lucas. Sein „Dune“ erzählt von der Sehnsucht eines unterdrückten Naturvolks, den indigenen Fremen von Arrakis, nach einem (weißen) Erlöser.
Paul (Timothée Chalamet), den Sohn von Caladan-Herrscher Leto Atreides (Oscar Isaac) und Lady Jessica (Rebecca Ferguson) vom Schwesternorden Bene Gesserit, einer Art galaktischer Schattenregierung, plagen Visionen einer jungen Fremin Chani (Zendaya), die ihn aus der Zukunft zu erreichen scheinen. Seit Jahrtausenden warten die Fremen und die Bene Gesserit auf die Ankunft des „Kwisatz Haderach“. Um seine Bestimmung zu finden, muss Paul wie einst Jesus von Nazareth in die Wüste aufbrechen, zum Planeten Arrakis, der wegen seiner für die Raumfahrt so unschätzbar wertvollen Spice-Vorkommen schwer umkämpft ist.
Am Anfang von „Dune“ verfügt der Emperor, das Schreckensregime von Baron Harkonnen (Stellan Skarsgård unter Fettprothesen) auf Arrakis zu beenden und dem friedlichen Haus Atreides die Kontrolle über die Spice-Produktion zu übergeben. Die rebellischen Fremen beäugen den Machtwechsel skeptisch: „Wer werden unsere nächsten Unterdrücker sein?“, fragt Chani in der Eröffnungssequenz, als die gigantischen Harkonnen-Raumschiffe ihren Planeten verlassen.
Das Problem von David Lynch bestand nicht zuletzt darin, dass er daran gescheitert war, der komplexen Geschichte eine dramaturgische Struktur zu geben. Er überführte den erzählerischen Überschuss in eine Space Oper – zur Musik von Brian Eno und der Rockband Toto. Villeneuve, Spaihts und Roth haben Herberts Roman regelrecht skelettiert. Dafür droht die rudimentäre Handlung ihrer Verfilmung nun in der hemmungslosen Schwelgerei für Patrice Vermettes Produktionsdesign (die städtegroßen Raumschiffe, die brutalistischen Paläste, die monochromatische Leere der Wüste) zwischendurch immer wieder in einen meditativen Schwebezustand zu verfallen.
Sehr sehr teures Industriedesign
So wirken die beiden großen Actionsequenzen des Films – der Angriff eines 400 Meter langen Sandwurms auf eine Spice-Erntemaschine und die Schlacht um Arrakis zwischen den Dynastien Atreides und Harkonnen – eher wie die Wiederbelebungsversuche an einem Film, der vor Überwältigung kaum von der Stelle kommt.
Der dröhnende Score von Hans Zimmer, wieder mit wohl unvermeidlichen Anklängen von Ethnokitsch, unterstreicht diese ausgestellte Grandiosität nur noch. Villeneuves entschleunigte Inszenierung legt es ganz offensichtlich auf ein Sequel an: „Dune“ gibt sich gleich in der Titelsequenz als „erstes Kapitel“ einer größeren Erzählung zu erkennen. Dass der Plan für ein Franchise aufgeht, ist aber keinesfalls gewährleistet.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können]
„Dune“ gelingt das Kunststück, gleichzeitig zu viel und zu wenig zu sein. Das Ensemble, zu dem auch Jason Momoa als Pauls Lehrmeister Duncan Idaho, Josh Brolin als königliche Kampfmaschine Gurney Halleck und Javier Bardem als Fremen-Anführer gehören, wird bei Projekten dieser Größenordnung zwangsläufig zur Staffage degradiert. Es ist gewissermaßen ihre Bestimmung, im Verhältnis zu den Kulissen wie Ameisen zu wirken.
Denis Villeneuve gibt dem Film zweifellos eine unverkennbare Ästhetik, doch „Dune“ sieht bloß nach teurem Industriedesign aus. Ein technokratisches Meisterstück. Das Problem liegt auf der Hand: Villeneuve muss sich nicht nur mit der Bürde von Herberts literarischem Erbe abmühen, sondern auch mit dem kollektiven Bildergedächtnis von drei „Star Wars“-Trilogien. Seine Demut ist spürbar. Die Mischung aus Respekt und eigenständigen Ideen ging ihm in „Blade Runner 2049“ noch leichter von der Hand.
Trotzdem muss man fast hoffen, dass Warner Villeneuve seine Filmreihe noch zugesteht. Nach dem (auch pandemiebedingten) Flop von „Tenet“ ist die Bereitschaft für ernsthafte Großproduktionen bei den Studios weiter gesunken. Vermutlich hilft der Wiedererkennungseffekt eines Franchises – analog zur Entwicklung im seriellen Erzählen bei den Streamingdienstleistern –, überhaupt noch avancierte Geschichten im oberen Budgetbereichen finanzieren zu können. Denn irgendwo in diesem luftdichten Eye Candy namens „Dune“ steckt eine Geschichte, die sich noch immer zu erzählen lohnt. (Ab Donnerstag in den Kinos)