Ein Rücktritt reicht nicht

Berlin – Der Deutsche Fußball-Bund war über viele Jahrzehnte ein echter Hort der Verlässlichkeit; manche sagen auch: der Langeweile. So wie es im DFB gelebte Praxis war, dass der Assistent des Bundestrainers irgendwann selbst zum Bundestrainer wurde, so gab es auch an der Spitze des Verbandes ein klares Muster. Es konnte nicht schaden, Schatzmeister des DFB gewesen zu sein, um irgendwann zum Präsidenten aufzusteigen. Das war bei Egidius Braun so, bei Theo Zwanziger und auch bei Reinhard Grindel.

Bei Fritz Keller, dem aktuellen DFB-Präsidenten, ist der Verband einen anderen Weg gegangen. Erstmals in seiner Geschichte hat er eine Art Headhunter engagiert, um einen geeigneten Kandidaten für das Amt zu finden. Dass aus diesem Prozess Keller als Sieger hervorging, der damalige Präsident des SC Freiburg, das hat im Sommer 2019 bei allen Beteiligten Stolz und Freude hervorgerufen. „Fritz Keller ist mit weitem Abstand der am besten geeignete Kandidat“, sagte DFB-Vizepräsident Rainer Koch.

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Keller, der Winzer aus dem Badischen, Patensohn von Fritz Walter, dem Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft, schien die perfekte Lösung zu sein: ein honoriger Geschäftsmann, wohlhabend und bodenständig, Mann der Profis wie der Amateure. Nur für Keller selbst war das Angebot „zunächst mal ein kleiner Schock“. Er wusste ja nicht, was ihn noch erwarten würde.

Inzwischen würde Keller wohl eher von einem großen Schock reden – wenn er denn reden würde. Aber das tut er nicht, seitdem ihn die Regional- und Landesverbände am Sonntag mit großer Mehrheit zum Rücktritt aufgefordert haben. Seitdem ist klar: Keller ist am Ende, und es wäre verwunderlich, sollte sich der DFB-Präsident, der 13. seit Gründung des Verbandes im Jahr 1900, dieser Erkenntnis immer noch verweigern.

Am Montagabend teilte der DFB mit, dass die Ethikkommission über Kellers Verfehlung abschließend beraten und das Resultat dem DFB-Sportgericht zu einer Entscheidung vorgelegt habe. Zu den Details der abgeschlossenen Beratungen machte der Verband keine Angaben.

Keller sollte den Grüßaugust spielen

Kellers Rücktritt ist unausweichlich, nachdem er seinen Stellvertreter Koch mit dem Nazischergen Roland Freisler verglichen hat. Er wäre nach Wolfgang Niersbach (2015 bis 2017) und Reinhard Grindel (bis 2019) der dritte DFB-Präsident hintereinander, der nur rund zwei Jahre im Amt war. Und der vierte in Folge, der vorzeitig gehen muss. Das sagt einiges über den Zustand des Verbandes, der Kontinuität in der Vergangenheit nicht in Jahren, sondern Jahrzehnten bemessen hat.

Bei seinen öffentlichen Auftritten wirkt der 64 Jahre alte Keller oft wie ein gemütlicher Großvater, gelassen, großzügig und gutmütig. Aber Keller kann auch anders. Er kann laut und cholerisch werden, wenn ihm die Dinge gegen den Strich gehen. Mit seinem Nazivergleich hat der DFB-Präsident die Grenze des Tolerierbaren allerdings deutlich überschritten. Letztlich zeigt dieser Fehltritt aber auch, wie sehr ihm die Troika auf der Gegenseite, bestehend aus Koch, dem Generalsekretär Friedrich Curtius und Schatzmeister Stephan Osnabrügge, in den vergangenen Wochen und Monaten zugesetzt haben muss.

Die Zusammenarbeit an der Spitze des Verbandes war schon lange keine mehr. Sie war vor allem durch Misstrauen geprägt und mehr und mehr zu einem undurchsichtigen Kleinkrieg verkommen, in dem Keller keine Chance hatte. Als er im Herbst 2019 ins Amt gewählt wurde, beschloss der DFB-Bundestag zugleich eine Satzungsänderung, die dem Präsidenten die Richtlinienkompetenz entzog. Für Keller war die Rolle des Grüßaugusts vorgesehen, während die wichtigen Entscheidungen vor allem von Generalsekretär Curtius getroffen werden sollten.

Wer könnte Kellers Nachfolger werden?

Kellers Rücktritt wäre daher nur die halbe Lösung. Auch Curtius, einem Karrieristen in Seidenstrümpfen, ist am Sonntag das Vertrauen entzogen worden. Bei Koch und Osnabrügge fiel das Votum denkbar knapp zu ihren Gunsten aus – was wohl nicht zuletzt mit der Stärke ihrer Regional- und Landesverbände zusammenhängt. Es wäre daher ein Treppenwitz, wenn Koch am Ende von Kellers Rücktritt profitierte und er zum insgesamt dritten Mal – diesmal gemeinsam mit Peter Peters – kommissarisch die Führung des Verbandes übernehmen würde.

Vermutlich erklärt das Kellers Zögern, sich in das Unvermeidliche zu fügen. Vielleicht will er erst sicher gehen, dass es einen echten Neuanfang beim DFB gibt; dass auch Koch den Weg frei macht. Aber auch dann bleibt ein nicht ganz kleines Problem: Wer soll es denn machen? Im Spannungsfeld zwischen Profi- und Amateurfußball ist der Präsident des DFB immer eine Art Kompromisskandidat. Jemand wie Karl-Heinz Rummenigge, der eindeutig im Profilager zu verorten ist, ist daher nur schwer vorstellbar, auch wenn sich Lothar Matthäus für ihn stark macht.

Zumal auch die Gestaltungsmöglichkeiten für Rummenigge überschaubar sind und der Spaßfaktor angesichts vieler Altlasten nicht besonders groß sein dürfte. Wahrscheinlich muss der DFB wieder einen Headhunter engagieren. Die traditionelle Lösung mit der Beförderung des Schatzmeisters kommt jedenfalls nicht in Frage.