Die etwas andere Krise: „Urs Fischer ist Unioner und so soll es auch bleiben“
Auch in Zeiten des Erfolgs war es Urs Fischer fast ein bisschen unangenehm, wenn er plötzlich im Mittelpunkt stand und die Fans ihn ausgiebig feierten oder wenn sein Konterfei überlebensgroß auf der Waldseite prangte. Lob gab der Trainer des 1. FC Union Berlin gerne direkt weiter an seine Spieler, schließlich standen diese auf dem Platz, schossen Tore, ackerten und schwitzten.
Auch am Samstag schien ihm der Rummel um seine Person nicht ganz geheuer zu sein. Während Präsident Dirk Zingler vor dem Spiel bei Sky noch einmal wiederholte, warum die Berliner trotz einer historischen Niederlagenserie am Schweizer Trainer festhalten, feierten die Fans diesen mit ohrenbetäubenden „Urs Fischer“-Sprechchören.
Etwas später, Eintracht Frankfurt führte nach zwei frühen Toren bereits 2:0 und das Köpenicker Unheil nahm seinen Lauf, entrollten die Ultras auf der Waldseite zwei Spruchbänder. „Es ist egal, was die Presseschweine schreiben. Urs Fischer ist Unioner und soll es auch bleiben“, war darauf zu lesen. Ähnlich, wenn auch ohne Medienschelte, formulierte es ein Fan, der in der Halbzeitpause an der Pressetribüne vorbeilief: „Der Urs muss bleiben. Schreib dit.“
Es ist schon eine außergewöhnliche Stimmung, die man dieser Tage rund um die Alte Försterei wahrnimmt. Der 1. FC Union, immerhin Vorjahresvierter und Champions-League-Teilnehmer, verliert und verliert, am Samstag bereits zum zwölften Mal in Folge. Die Mannschaft steht mittlerweile auf Relegationsplatz 16, der Verein hat den Abstiegskampf ausgerufen.
Dennoch hört man nirgendwo ein negatives Wort über den Trainer, der bei Misserfolg im schnelllebigen Fußballgeschäft meist das schwächste Glied ist. Ganz im Gegenteil: Urs Fischer wird vielleicht lauter gefeiert als je zuvor in seinen fünf enorm erfolgreichen Jahren in Berlin.
Am Mittwoch wartet Neapel
„Das ist großartig, wenn man in solch schwierigen Situation die Unterstützung spürt“, sagte Fischer. „Aber es beschreibt auch ein bisschen diesen Zusammenhalt bei Union. Der wird nicht nur erzählt, der wird gelebt.“ Diesen kennt auch Christopher Trimmel nur zu gut. „Das ist nicht selbstverständlich und sagt viel über den Verein aus. Man vergisst nicht“, sagte der Kapitän. Am Ende reichte aber auch die ununterbrochene Unterstützung der Fans nicht aus, um endlich mal wieder zumindest einen Punkt mitzunehmen.
Große Vorwürfe konnte man Union am Samstag trotz des niederschmetternden Ergebnisses von 0:3 nicht machen. „Die Mannschaft hat eine tolle Reaktion gezeigt und es waren genügend Möglichkeiten da, um den Anschluss zu erzielen“, sagte Fischer. Während der Einsatz und die Moral stimmen, schaffen es die Spieler momentan einfach nicht, ihre eigentlich vorhandene Qualität abzurufen.
Gegen Frankfurt hatte Union nach zuletzt sehr harmlosen Auftritten zwar immerhin gute Chancen, doch diese wurden ausgelassen. Die Standards sind im Vergleich zu den Vorjahren nicht wiederzuerkennen. Seit fünf Spielen hat Union kein Tor mehr erzielt. Auf der anderen Seite des Feldes nutzen die Gegner aktuell jeden Fehler – und davon machen die Berliner deutlich zu viele – eiskalt aus.
Diese Gemengelage macht Fischer die Arbeit nicht gerade leicht. Denn die größten Probleme Unions sind momentan nicht taktischer oder spielerischer Natur, sondern mental. Fischer ist als Psychologe gefragt und nimmt diese Rolle auch an. „Der Trainer tut alles dafür, dass wir da rauskommen. Er redet viel, ist sehr direkt. Mehr kann er nicht machen“, sagte Trimmel. Das ganze Team müsse sich steigern, um endlich die Kurve zu bekommen. „Da nehme ich jeden Einzelnen in die Pflicht, auch mich.“
Als wäre die Situation nicht schon ernst genug, stimmt der Spielplan aber momentan auch nicht wirklich optimistisch. Am Mittwoch (18.45 Uhr) ist Union beim Italienischen Meister SSC Neapel zu Gast, am Sonntag folgt das Auswärtsspiel beim noch ungeschlagenen Bundesliga-Tabellenführer Bayer Leverkusen. Anschließend ist Länderspielpause. Sofern Fischer nicht von sich aus hinwirft, wird er aller Voraussicht nach auch danach noch Trainer des 1. FC Union sein.