Der schwarze Jesus von Siculiana
Dieser Dokumentarfilm hat die Kraft eines Spielfilms. Die suggestiven Bilder, der Klang, der vom grell melancholischen Getröte sizilianischer Blaskapellen lebt. Und die Geschichte, die Geflüchtete nicht nur als Opfer zeigt, sondern die Utopie eines brüderlichen Miteinanders von Afrikanern und Europäern zeichnet.
Gedreht ist „A Black Jesus“ in Cinemascope. Mit einer schwebenden, ständig in Bewegung befindlichen Kamera, die der Regisseur Luca Lucchesi selber führt. Mal schwingt sie sich in per Drohne in luftige Höhen über die rosa Dächer des sizilianischen Städtchens Siculiana.
Wim Wenders hat produziert
Mal gleitet sie wie ein allsehendes Auge durch bröckelnde Gassen. Allein die sinnliche Qualität weist Lucchesis Langfilmdebüt „A Black Jesus“ als Produktion von Wim Wenders und dessen Firma Road Movies aus. Nichte Hella Wenders fungiert als Co-Autorin.
„Ich kapiere es nicht“, sagt Edward aus Ghana gleich am Anfang zu einem Kumpel. „Die Leute lieben eine schwarze Holzfigur, aber keine schwarzen Menschen.“ Edward ist 19 und hat sich wie so viele andere junge Afrikaner übers Mittelmeer auf nach Europa gemacht.
Doch das Asylverfahren und damit der Weg zu Papieren und Arbeit kommt nur sehr schleppend voran. Das Auffanglager in Siculiana, bietet ihm und den anderen im Jahr 2018 zwar Obdach, doch die Einwohner beargwöhnen die Migranten und meiden den Kontakt.
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Und dass, obwohl sie ihren schwarzen Jesus, den Schutzpatron des Ortes, innig verehren. Die Barockkirche, in der die Skulptur über dem Altar hängt, ist das prächtige Zentrum des von Abwanderung und Armut gezeichneten Ortes.
Jedes Jahr am 3. Mai wird die Ikone in einer von Blasmusik und Jubel untermalten Prozession stundenlang herumgeschleppt. Aufgebockt auf ein Postament und an langen Stangen gehalten von Männern, die ein rotes Halstuch als Segenszeichen tragen.
Dem schwarz bemalten Schmerzensmann fliegen Küsse und Gebete zu. An seinen von unzähligen Berührungen abgewetzten Knien leuchtet helles Holz hervor.
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Es ist ein kraftvolles Bild, dass der Regisseur Luca Lucchesi für seinen mitreißenden Film wählt.
Hier die Sizilianer, die, wie ein alter Bauer sagt, der viele Jahre in Deutschland beim Straßenbau geschuftet hat, selbst „schon immer Migranten“ waren und den armen Süden Europas gen Norden verlassen haben. Und sei es im eigenen Land, wie das die jungen „Siculianesi“ tun.
Dort die afrikanischen Migranten, die ebenfalls gen Norden ziehen, um ein besseres Leben zu finden, und auf ein sterbendes Städtchen treffen, in dem aus Mangel an Arbeit und Perspektive jedes zweite Gebäude leer steht.
Und dazwischen die gemeinsame Identifikationsfigur des Heilsbringers Christus. Den feiern die Siculianesi zwar mit Feuerwerk und Lichterketten, fühlen sich im folkoristischen Furor aber kaum an das christliche Gebot der Nächstenliebe gebunden.
Zumindest nicht, wenn es um Schwarze geht. Die „überrennen uns, dabei haben wir selber nichts“, ist der Tenor, den der Lega Nord-Politiker Salvini für seine Wahlkampagne nutzt.
Die Ghanaer sind Gott näher als die müden Europäer
Ganz anders die Ghanaer, die regelmäßig betend in der Kirche verharren, und Gott viel besser zu kennen scheinen, als die müden Europäer. „Als ich im Boot saß, hatte ich Todesangst“, spricht Edward mit vor Optimismus leuchtenden Augen in die Kamera. „Aber wenn man an Gott glaubt, wird einem alles gelingen.“
Sogar die von Edward und seinen Freunden ersehnte Teilnahme an der Prozession, bei der sie – unterstützt vom engagierten Italienischlehrer, einer Nonne, und dem örtlichen Priester – tatsächlich als Jesus-Träger mitwirken dürfen.
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Na“, quatscht sie in einem brüchigen Moment selbstverständlicher Eintracht abends einer der Einheimischen an, als sie auf dem Rückweg ins Flüchtlingsheim sind, „war das Kreuz schwer?“. Da gehören die vorher mit jeder Menge Ängsten konfrontierten Neuankömmlinge plötzlich zur Gemeinschaft. Und der von Edward beschworene Satz „Christus ist für alle da“ gilt, wenn auch nicht lang.
Ausgerechnet der Atheist verhält sich wie ein Christ
Dass der in Berlin lebende Luca Lucchesi der Bevölkerung von Siculiana so nahe kommt, liegt daran, dass er der Sohn eines Siculianesi ist. Als wertfreien Beobachter lassen ihn die alten Frauen, die Speisen für das Fest vorkochen, in ihre Wohnstube. Und beim Barbier reden die alten Männer, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.
Das gilt auch für den Lehrer, der den Afrikanern ehrenamtlich Italienisch beibringt und sich über die Flüchtlingspolitik seines Landes empört. Ausgerechnet der Atheist weiß in diesem von Volkskatholizismus und sozialen Spannungen geprägten Stimmungsbild vom Südzipfel Europas am besten, was es heißt, ein Christ zu sein.