Der Lifestyle-Coach und die Kugeln

Gold in Peking, Gold in Rio, Gold in Tokio. David Smith ist jemand, der im Para-Boccia seit Jahren mit überragenden Leistungen heraussticht. Auf Wettkämpfen ist der Engländer mit seinem blau-roten Irokesenhaarschnitt kaum zu übersehen. Es ist wie eine Ansage an die Konkurrenz: Ich brauche mich nicht zu verstecken. Ich weiß, was ich kann.

Und Smith kann einiges. Beim Para-Boccia geht es darum, die eigenen Bälle aus dem Rollstuhl heraus näher am weißen Zielball zu platzieren als der Gegner. Dafür ist ein hohes Maß an Taktik, Genauigkeit und Koordination erforderlich. „Ich bin sehr gut darin, mir Möglichkeiten zu schaffen, wo andere Leute nicht unbedingt welche sehen“, sagt der 32-jährige Brite. Er spielt aufgrund seiner Zerebralparese in der Klasse BC1.

Wenn er wirft, dann fast immer präzise, mit möglichst wenig Bällen und dafür vielen hohen Wertungen. Neben den drei paralympischen Goldmedaillen brachte ihm sein Können zehn Goldmedaillen bei Welt- und Europameisterschaften ein; zahlreiche Silber- und Bronzemedaillen kommen in dieser stolzen Bilanz noch hinzu. David Smith ist damit der erfolgreichste Spieler der gesamten britischen Boccia-Geschichte.

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„In der Schule habe ich noch andere Sportarten ausprobiert, aber in Boccia war ich einfach am besten“, sagt Smith schulterzuckend. Boccia habe sich bei ihm zu einer „Sucht“ entwickelt. „Was ich an Boccia am meisten liebe: Es gibt kein Limit. Es gibt immer noch etwas Neues, das man herausfinden und entwickeln kann.“ Der Sport habe ihn zu einer besseren Person gemacht: „Boccia ist ein tolles Spiel, um die beste Version seiner selbst zu finden.“ Der Brite spielt Boccia seit 26 Jahren. Für seine Leistungen erhielt er bereits 2016 den Ritterorden.

Boccia wird in der Öffentlichkeit immer bekannter

In Großbritannien ist Smith mittlerweile ein Star. Das Medieninteresse ist groß, Schulen laden den Athleten zu sich ein, Leute erkennen ihn auf der Straße. „Es fühlt sich großartig an, ehrlich gesagt. Dass Boccia in der Öffentlichkeit immer bekannter wird, ist fantastisch für den Sport.“ Zu viel Druck will er sich aber nicht machen. „In der Vergangenheit habe ich den Druck öfter gespürt“, sagt David Smith „Aber in diesem Jahr musste ich niemandem mehr etwas beweisen.“

Die Paralympics in Tokio hat er deshalb einfach genossen, was nicht immer einfach war. Im Finale lag Smith nach dem ersten Satz 0:2 hinten. „Ich war ehrlich gesagt nicht zu nervös, ich lag schon mal deutlich weiter hinten. Es war kein großes Ding, das Spiel noch zu drehen“, erklärt er locker. Er habe sich nach dem ersten Satz gedacht: „Entweder, du machst es deinem Gegner jetzt sehr einfach, oder du kämpfst.“

David Smith gelang es in den folgenden Sätzen des Endspiels, seinen malaysischen Gegner Chew Wei Lun immer wieder zu Fehlern zu drängen. Er gewann das Finale mit 4:2 und wurde so der erste Spieler der Klasse BC1, der jemals einen paralympischen Titel verteidigen konnte.

Mit seinem zweiten Standbein als Lifestyle-Coach erledigte sich in Japan auch der finanzielle Druck, gewinnen zu müssen. „Ich helfe Leuten, ihre Gesundheit zu verbessern. Bisher gibt es tolle Resultate“, freut sich Smith. Die Gelegenheit dazu entstand aus der Pandemie heraus, als er begann, seinen bisherigen Trainingsalltag zu reflektieren.

Es gab auch noch andere berufliche Alternativen für Smith

„Ich war damals sehr frustriert und hätte Boccia fast an den Nagel gehängt. Dann habe ich begonnen, mit einem Lifestyle-Coach zu arbeiten und meine Ernährung umzustellen.“ Smith war so begeistert von den Ergebnissen, dass er andere nun ebenfalls motiviert und inspiriert. „Ich bin jetzt viel fitter, habe einen neuen Fokus und ein neues Mindset. Das möchte ich weitergeben.“

Für den Briten hätte es auch noch andere berufliche Alternativen gegeben, denn er studierte zuvor Raumfahrttechnik in Swansea. Doch diesen Weg will er nicht weiter verfolgen. „Ich habe mich in der Technik-Welt nie willkommen gefühlt.“

Als Mensch mit Behinderung habe er Diskriminierung erlebt, „und wenn das an der Universität auf der Suche nach einem Praktikumsplatz schon so ist, habe ich keine Hoffnung auf einen bezahlten Job“. Er habe absolut gar kein Problem damit, der Raumfahrttechnik den Rücken zu kehren und mehr Geld zu verdienen, indem er Menschen helfe. David Smith sagt: „Ich sehe mich selbst als Person, die etwas wert ist, und möchte gewollt werden.“

Jetzt gilt Smiths Konzentration aber erstmal den Europameisterschaften im Boccia, die in Spanien am 22. November starten. „Ich denke, dass es interessant wird. Einige Athleten werden vielleicht Probleme haben, weil es so kurz nach den Paralympics stattfindet“, sagt er. Smith selbst will relativ entspannt in die EM starten, auch wenn er natürlich als einer der Favoriten gilt. „Wir werden sehen, was passiert. Das wird ein schöner Wettkampf, um das Jahr zu beenden.“

Denkt er nach so vielen Wettkämpfen eigentlich mal ans Aufhören? Oder sieht er sich selbst bei den Paralympics in Paris 2024? „Ehrlich gesagt, sehe ich mich 2032 in Australien“, sagt David Smith und lacht. „Da war ich noch nie und da würde ich gerne mal hin.“