Das Humboldt Forum öffnet seine Höfe
Sommerwetter ist doch noch eingetroffen, der Kulturbetrieb läuft wieder an, die Berlinale verspricht lange Nächte im Freien. Und das Humboldt Forum unternimmt einen weiteren Schritt beim soft opening, das sich bisher als Mischung aus Verzögerung und Taktik, Pech und vielfältigen Baupannen und, immer klarer, systemischen Fehlern darstellt.
Endlich werden auch an diesem Mittwoch die Passage und der Schlüterhof geöffnet. Neue Stadträume sollen hier entstehen und die Verbindungen zum Alten Museum und der Museumsinsel sichtbar werden. Hier müsste sich erweisen, was die Schloss-Befürworter immer als stärkstes Argument in die Debatte warfen – dass dieser Bau die Mitte erschließt und nicht abschottet.
Ein wichtiger Probelauf: Lässt die dröge Architektur aus dem Inneren heraus Urbanität zu, schafft sie Durchgänge und Zugänge, fördert sie die Mobilität und damit das Interesse an den ganz unterschiedlichen Berlin-Ausstellungen und musealen Bereichen, die vorerst noch geschlossen blieben?
Anders gefragt: Klappt die Gastronomie, entsteht ein neuer Ort, an dem man verweilen möchte, der zum Spazieren einlädt und neue Perspektiven bietet? Der neue Schloss-Koloss tut ja so, als sei er immer schon dagewesen, er drückt die Geschichte weg, die man dann einmal im Keller und an vielen Stellen des Humboldt Forums wiederfinden kann.
Angenehm ist der Weg am Wasser, vor dem Hintergrund der brutalistischen Ostfassade. Hier spürt man die Spannung zwischen den historischen Schichten. Könnte ein Bauwerk knirschen, könnten diese neuen Wände sprechen, sie würden sich wohl wundern, dass sie so historistisch dahingekommen sind – mit einem Innenleben, das die Öffentlichkeit inzwischen weit mehr beschäftigt als die Hülle mit dem irritierenden Kreuz.
Ist das Konzept überholt?
Da lag die Hoffnung vieler Schloss-Kritiker – dass das Humboldt Forum die nun schon länger zurückliegende Niederlage der zeitgenössischen Baukunst heilt. Es ist anders gekommen. Noch bevor die aus Dahlem herübergekommenen Sammlungen gezeigt werden können, gab es die heftigsten Kontroversen.
Das was erwartbar, wenn man die internationale Entwicklung betrachtet, aber von den neuen Schlossherren nicht gesehen worden, nicht in der Wesentlichkeit, die sich in dieser Grundsatzfrage steckt: Wem gehören die Kunstschätze aus aller Welt, müssen sie zurückgegeben werden? Ist das aus Kolonialzeiten stammende Konzept eines ethnologischen Museums überholt?
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Bei den Benin-Bronzen hat sich nun einiges bewegt. Diese Artefakte können ab 2022 die Heimreise antreten. Aber kaum, dass sich auf der einen Seite Verständigung ankündigt, tut sich an anderer Stelle ein Abgrund auf. Auch das hätten die Museumsleute wissen können. Sie haben es sicher gewusst, aber wohl darauf vertraut, dass die Geschichte nicht wieder auf- und ausgegraben wird.
Das Humboldt Forum könnte sich nochmal neu erfinden
Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat kürzlich die ganze Idee des Humboldt Forums als verfehlt bezeichnet. Sie glaube nicht, dass das Humboldt Forum mit den ethnologischen Sammlungen überhaupt eröffnen kann, sagte sie in der Zeitschrift „Weltkunst“.
Savoy gehört zu den schärfsten Kritikerinnen des Forums. Ihre Stimme hat in Europa und in Afrika Gewicht, schließlich ist sie auch eine ausgewiesene Humboldt-Expertin. Sie hat immer wieder auf Geburtsfehler des Humboldt Forums hingewiesen und wurde als radikal eingestuft. Nur, wie oft haben sich ihre Befürchtungen auch bestätigt.
Und wer hätte gedacht – und eigentlich denken müssen –, dass ein hervorragender Historiker wie Götz Aly jetzt ein solches Buch vorlegt? „Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee rauben“, erschienen bei S. Fischer, raubt den Kuratoren und dem Publikum die letzte Illusion eines halbwegs sauberen Erwerbs.
Es trifft das vielleicht populärste Stück der Berliner Sammlungen, eben das Südseeboot. Aly beschreibt im ruhigen Ton das verbrecherische System der wilheminischen Kolonialherren – und da lassen sich mörderische Strafexpeditionen kaiserlicher Truppen nicht trennen von den Aufkäufern der reich verzierten Kanus und unzähliger anderer Objekte, die um 1900 in deutsche Museen wanderten, vor allem nach Berlin. Wer Aly liest, geht mit anderen Augen ins Museum.
Darin liegt eine Chance für das Humboldt Forum. Es kann sich noch einmal neu erfinden. In einer ethnologischen Präsentation will man wissen, welche Wege die Objekte gegangen sind. Das gilt ebenso für den Pergamon-Altar oder ein Gemälde von Watteau. Provenienz ist Weltgeschichte. Sie verdient mindestens so viel Akribie, Finanzmittel und Leidenschaft, wie bei der Wiederherstellung des preußischen Dekors auf den alt-neuen Schlossplätzen aufgewendet wurde.