Auf hoher See im Museum
Sechs Wochen bevor sich endlich auch die Türen der Ostspange vom Humboldt Forum öffnen und damit alle Teile des Ethnologischen und des Museums für Asiatische Kunst zugänglich sind, tut sich auch im westlichen Teil noch etwas – genauer: in der Ozeanien-Ausstellung.
Der große Saal mit dem Luf-Boot, das bei der ersten Teileröffnung im September 2021 für Ärger sorgte, weil die umstrittene Geschichte seiner Erwerbung unterbelichtet blieb, steht nun wieder im Fokus. Auch diesmal geht es um ein Boot, allerdings den Nachbau eines Modells von 1913. Das Original steht im Fidschi Museum der Hauptstadt Suva auf der Hauptinsel Viti Levu. Streit wird es also keinen geben.
Die beiden aus Fidschi angereisten Bootsbauer Joji Marau Misaele und Rogosava Biuwale, die in den letzten Monaten in ihrer Heimat das Doppelrumpfboot in traditioneller Bauweise aus Holz und Kokosfaser konstruierten, fügen die Einzelteile nun in Berlin wieder zusammen. Der fast fertig gestellte Katamaran von 10 mal 2,70 Metern mit seinen unterschiedlich langen Rümpfen, dem großen Segel und der kleinen Kajüte wirkt bereits eindrucksvoll. Als Letztes müssen nur noch dekorative Elemente hinzugefügt werden. Aufgefädelte Kaurimuscheln sollen den Bug schmücken. Ein Schild mit der Aufschrift „Domo Domo“, das an einen kürzlich verstorbenen Bootsbauer erinnert, der bis zuletzt mitgearbeitet hatte, wartet noch auf seinen Platz.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]
Man kann es sich kaum vorstellen: Mit solch fragilen, windschnittigen Gefährten erkundeten die Polynesier einst den Ost-Pazifik, steuerten sie entfernte Inseln an, um sie zu besiedeln. Bis vor gut fünfzig Jahren waren die traditionellen Druas sogar noch im Einsatz, berichtet Joji Marau Misaele. Heute werden sie wie auf jeder anderen modernen Schiffswerft ebenfalls aus Fiberglas gebaut. Fischfang ist nach wie vor eine wichtige Einkunftsquelle für die Region.
Für den Ingenieur, der an der Fiji National University lehrt, ist es nicht das erste Mal, dass er ein traditionelles Boot nachbaut. In London steht bereits ein Exemplar von ihm. Das Berliner Stück entstand im Auftrag der Stiftung Humboldt Forum in Kooperation mit der Fiji National University. Die Kosten beliefen sich auf einen sehr niedrigen sechsstelligen Betrag, so viel verrät Intendant Hartmut Dorgerloh denn doch.
Für Joji Marau Misaele ist es vor allem eine große Ehre, wie er sagt, dass ein Boot seiner Heimat, die doch in Europa sonst kaum jemand kennen würde, weil sie so weit entfernt sei, sich nun im Zentrum der deutschen Hauptstadt befinde. Und das Luf-Boot? Müsste es nicht restituiert werden? Misaele winkt ab. Ihm geht es um den Wissenstransfer.
Dafür wird auf eine besondere Art nochmals gesorgt. Das Doppelrumpfboot darf künftig von Kindern und Jugendlichen beklettert werden. Außerdem stehen dann Virtual-Reality-Brillen bereit, um das richtige Seefahrer-Feeling zu vermitteln – gluckernde Geräusche inklusive.
Von den originalen Bais existieren weltweit nur noch vier
Ein Saal weiter im Westflügel des Humboldt Forums wird ebenfalls gebaut, ja sogar gesungen. Hier decken seit dem 1. August Patrick Tellei und sein Team aus Palau – allesamt in azurblauen T-Shirts – ein traditionelles Versammlungshaus mit „Palmblatt-Schindeln“ neu ein, die sie zuvor hergestellt und in großen Kisten mitgebracht haben. Mittlerweile existieren von den originalen Bais, die früher in palauischen Dörfern mehrfach zu finden waren, weltweit nur noch vier.
Das Berliner Exemplar ist ein Männerhaus, in dem sich einst die Entscheider der Dorfgemeinschaften trafen, um etwa den weiteren Bau von Häusern und Straßen zu diskutieren. Seinen Giebel schmückt ein Balken mit Figuren auf gelbem Grund, wie er die „Brücke“-Maler damals zu ihrer expressionistischen Malerei inspirierte. Hier sind sie beim Jagen, Fischen und Fällen von Bäumen zu sehen. Auch das 15 Meter lange, 5 Meter hohe und 4,30 Meter Holzhaus ist eine Auftragsarbeit, allerdings vom Beginn des 20. Jahrhunderts.
Der Arzt und Ethnologe Augustin Krämer ließ es für das damalige Berliner Völkerkundemuseum bauen. Seit 1970 war es in Dahlem zu sehen, ergänzt um einen Fußboden und Dachstuhl, die sich als Teil der Hausgeschichte nun weiterhin darin befinden. Unter den heutigen Dachdeckern finden sich Enkel der einstigen Ersterbauer. Wie das Doppelrumpfboot darf auch das Versammlungshaus von Besuchern betreten werden. Statt VR-Brillen stehen dort Hörstationen für die Besucher bereit, um sich eine lebhaftere Vorstellung davon zu machen, wie im Bai einst Versammlungen abgehalten wurden.