Beton ist geduldig: Die Überlebenskunst von Karl-Heinz Adler
Betonwerksteine sind auch eine Möglichkeit. Wer sich als tief im Westen, sagen wir: in Düsseldorf, Geborener schon immer über den Formenreichtum der in der DDR einst verbauten Betonwerksteine gewundert hat, der wird deren ganze Geschichte gleichwohl kaum je erfasst haben. Die Geschichte beginnt mit dem sogenannten Formalismusstreit und dem von der neuen Obrigkeit den DDR-Künstlern von Anfang verordneten „Sozialistischen Realismus“. Den Künstlern, die sich dieser Doktrin nicht unterordnen wollten, blieb das Exil im Westen – sagen wir: in Düsseldorf – und die dortige Begründung eines „Kapitalistischen Realismus“. Diese Möglichkeit gewählt haben Gerhard Richter und Sigmar Polke, sie sind damit zu großem Ruhm gelangt.
Eine andere Möglichkeit waren, wie gesagt: Betonwerksteine. Diese Möglichkeit hat Karl-Heinz Adler gewählt. Er ist damit nicht eben berühmt geworden – aber er hatte in der Dresdner Produktionsgenossenschaft Bildendender Künstler Kunst am Bau sein Auskommen und seine Ruhe vor den Behörden. Das System der DDR hatte ein Faible für sein serielles Formsteinsystem. Warum die SED-Aparatschiks die gleichen abstrakten Formen, die sie auf Papier und Leinwand verfemten, zur selben Zeit als in Beton gegossenes Fassadenornament selbst beim VEB Stuck- und Naturstein in Berlin in Auftrag gaben und ihre ganze Republik damit quasi flächendeckend tapezierten – das allerdings dürfte einer der inneren Widersprüche des an solchen nicht eben armen selbsterklärten besseren Deutschlands bleiben.
Wie auch immer. Für den 1927 im vogtländischen Remtengrün geborenen und die längste Zeit seines Lebens in Dresden niedergelassenen Karl-Heinz Adler war es die Möglichkeit, in der DDR als abstrakter Künstler zu existieren. Ein Eindruck von seinem dort – bis zu einer ersten Einzelausstellung 1982 in Dresden – weitgehend privat gebliebenen Kunstschaffen lässt sich derzeit in der Berliner Dependance der Galerie Eigen + Art gewinnen. Einen zahlenmäßigen Schwerpunkt der Schau bilden mit dem Kurvenlineal angefertigte „serielle Lineaturen“, von denen Adler selbst als „geometrischen Formen, die zerstört werden“ sprach.
Ob Zeichnung, Aquarell, Acryl, Graphit oder Collage auf Papier, Karton, Leinwand, Hartfaser- oder Spanplatte: Adler erweist sich als auf Augenhöhe mit den namhafteren Vertretern der Konkreten Kunst in den westlichen Ländern, namentlich Deutschland und der Schweiz, einem Epizentrum dieser auf mathematisch-geometrischen Grundlagen aufgebauten Kunstrichtung. Adlers auf einer einzigen Grundform basierende „Quadratschichtung“ (1957) in Grau und Schwarz, eine seiner frühesten Arbeiten, lässt etwa an einige Werke Anton Stankowskis denken, dessen Kunst vielleicht auch nicht jedem geläufig ist – wohl aber das von ihm entworfene (quadratische) Logo der Deutschen Bank. Andere Arbeiten erinnern eher an Max Bill oder Richard Paul Lohse, die Skulpturen an Karl Gerstner.
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Alle diese (konkreten) Künstler haben übrigens, wie Adler, ihren Lebensunterhalt überwiegend mit angewandter Kunst bestritten, nur eben nicht mit Betonwerksteinen, sondern als Grafikdesigner, Werber und Typografen. Dass eine Kunst nicht geächtet ist, heißt eben noch lange nicht, dass man auch davon leben kann. Was man hingegen bei keinem der Künstlerkollegen findet: diesen die kalte Akkuratesse der Geometrie bewusst brechenden, das Formenspiel aber erweiternden, mitunter auf impressionistische Weise leicht hingetupften oder auch mal dick draufgeschmierten Farbauftrag.
Ob und gegebenenfalls in welcher Intensität es Kontakte zwischen Adler und den genannten Konkreten im Westen gab, ist der seinen Nachlass vertretenden (Adler verstarb 2018 im Alter von 91 Jahren) Galerie Eigen + Art nicht bekannt. Bekannt ist, dass einige Werke auf unbekannten Wegen 1984 in eine Ausstellung in der Kunsthalle Malmö gelangt und dort bis zum Ende der DDR und darüber hinaus verblieben sind. Das Sichten und Sortieren des in etlichen Jahrzehnten mehr oder weniger im Verborgenen geschaffenen Werkes von Karl-Heinz Adler ist noch lange nicht abgeschlossen.