Alles darf raus

Die eine, splitternackt, posiert wie eine antike Venus. Ihr glasurglatter Porzellanleib ist marmorweiß. Daneben lacht selbstbewusst eine sportliche Badeanzugträgerin mit Bubikopf. Ganz Femme Fatale gibt sich eine extravagant Gekleidete, ihr Körper ist geometrisierend stilisiert. Zwei Dutzend Porzellanfrauen aus der Zeit um 1900 versammelt die Vitrine, allesamt von männlichen Künstlern modelliert. Insgesamt 100 davon zählt der Bestand des Bröhan-Museums, wie Kuratorin Anna Grosskopf feststellte. Die Frau als Dekorationsobjekt im Nippesfigurformat? Die Sammlung steckt voller Aspekte, die darauf warten erkundet zu werden.

Das Team des Hauses spendiert dem Museumsgründer Karl H. Bröhan zum 100. Geburtstag eine Schau (Bröhan-Museum, Schlossstr. 1a, bis 16.1.; Di bis So 10-18 Uhr. Am 6.11. Performance-Installation von Nezaket Ekici), die frisch und zupackend die in Jahrzehnten liebevoll zusammengetragenen Sammlerstücke im neuen Licht präsentiert. Was tun, wenn all das Schöne nicht mehr in die angestammten vier Wände passt? Das schwer zu bespielende, klassizistische Kasernengebäude am Schloss Charlottenburg mit seinen verwinkelten Räumlichkeiten platzt aus allen Nähten. Ein durchgreifender Umbau nach dem Auszug des noch immer im dritten Stock logierenden Rathgen-Forschungslabors ist geplant.

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Vorerst helfen nur Schwerlastregale. Die vielerorts bewährte Museumsstrategie Schaumagazin wird in der Ausstellung „Bröhan Total“ zum Herzstück der Präsentation. Grellgelb gestrichene Metallregale, deckenhoch vor pechschwarzen Wänden, nehmen dicht an dicht auf, was Bröhan selbst lieber in strenge, feine Glasvitrinen stellte. Jugendstilvasen und Silberkännchen, Zinnleuchter und Weißblaukeramik, Möbel von Rietveld bis Riemerschmid, Heinrich Vogelers Sitzbank aus Worpswede und Wilhelm Wagenfelds Glasstapelgeschirr.

Kernkompetenz Jugendstil, dazu Art Deco

Das mit Witz und Sorgfalt arrangierte Nebeneinander macht klar, dass hier eine neue Generation am Ruder ist. „Keiner von uns kannte Herrn Bröhan noch persönlich“, meint Grosskopf. Gleichwohl gehen sie behutsam mit seinem Erbe um. Der erste Raum erweist dem Kenner und Liebhaber Reverenz. Im O-Ton erzählt Karl H. Bröhan, wie er 1998 an das kapitale Speisezimmer von Peter Behrens kam, ein Schlüsselwerk der frühen Moderne. Vom Angebot eines Ost-Berliner Händlers bis zum Transport ins Museums vergingen nur Tage. Dazu gruppieren sich in Vitrinen Sammlers Lieblingsstücke, wie ein Goldemailteller der KPM Berlin: Eine Heuschrecke schaukelt auf einer Grasrispe vor nachtblauem Grund, ein naturnahes Mini-Ökosystem mit Jugendstilflair.

1968 war der Hamburger Geschäftsmann nach Berlin gekommen, reich geworden mit dem Vertrieb schmerzfreier Highspeed-Zahnarztbohrer. Als Bröhan seine Sammlung gut ein Jahrzehnt später der Stadt Berlin vermachte, war sie auf internationales Niveau gewachsen. Kernkompetenz Jugendstil, dazu Art Deco, später auch Funktionalismus. Vieles davon wäre heute unerschwinglich, seinerzeit konnte er sich als Pionier fühlen. Exquisite Spezialsammlungen innerhalb des großen Ganzen entstanden. Üppig ist das Porzellan vertreten: Die dritte Etage schwelgt in Produkten nahezu aller maßgeblichen Manufakturen von Paris bis Kopenhagen, ob hüfthohe Bodenvase oder federleichtes Eierschalenporzellan.

Neu sind die vier „Period Rooms“, jeweils einer Stilepoche gewidmet. Leider ist auch hier der Platz knapp. Von dem schwungvoll designten Jugendstil-Speisezimmer Eugène Gaillards können nur zwei Stühle, Buffet und Tisch gezeigt werden. Auf der Pariser Weltausstellung 1900 erregte das Ensemble Aufsehen. Formstreng und funktional zeigt sich der deutsche Jugendstil, immer im Bund mit aktuellen Lebensreformideen: August Endells Sanatoriumsmöbel aus Nordfriesland kamen erst jüngst in die Sammlung. Das um 1900 entstandene Bauwerk selbst, in Wyk auf Föhr, wurde abgerissen.

Strandgut der Geschichte

So sind sie alle Strandgut der Geschichte, die erlesenen Gebrauchsgegenstände der Kollektion. Ihnen fehlt der natürliche Zusammenhang des Wohnens, Lebens, Genießens, für den sie einst geschaffen wurden. An dem abgewetzten Stahlrohrschreibtisch der Brüder Luckhardt von 1931 wurde offensichtlich wirklich gearbeitet. Auch die exquisiten Silberbestecke gingen von Hand zu Hand. Jetzt sind sie Schaustücke, museale Objekte der Betrachtung. Sie müssen es sich gefallen lassen, nach objektiven Kategorien geordnet zu werden.

Geometrie oder Naturform? Minimalismus oder Schmuckfreude? Themenräume mixen die Objekte quer durch die Epochen. Ein frech asymmetrisches Kaffeeservice von Jutta Sika, verziert mit knallroten Kreisen, könnte aus den 1970ern stammen. Sie entwarf es 1901. Zwei Dutzend Tortenplatten mit herrlich wilden Mustern dürfen erstmals aus dem Depot an die tapezierte Wand. Deren geometrisches Gelb-Blau-Muster von Martha Lutz treibt die Lust am Ornament auf die Spitze.

Die Schaulager-Präsentation der Gemäldesammlung, Rahmen an Rahmen, tut der Berliner Secession dagegen keinen Gefallen. Zwar sieht man so, was die Sammlung alles hergibt. Nur zwei Malerinnen, etwa Maria Slavona. Aber wirken können Baluscheks sozialkritische Alltagsszenen und Leistikows Waldseen nicht so recht. Ein roter Punktaufkleber neben Baluscheks „Eisenwalzwerk“ verrät: hier stieß die Provenienzforschung auf fragwürdige Erwerbungsumstände. Auch das Bröhan-Museum macht seine Hausaufgaben und durchforstet die Bestände.

Aus den Vitrinenkäfigen entlassen wurden die Piepmätze der Sammlung. Rund 100 Tierskulpturen, darunter besonders viele Vögel, zeugen von der Beliebtheit dieser Gattung der Porzellankunst. Während die naturgetreu gestalteten Eisbären hinter Glas ausharren müssen, haben Papageien und Perlhühner Freiflug. Das Federvieh sitzt jetzt auf Stangen im Raum oder pickt am Boden. Verblüffend, wie das die Wahrnehmung ändert.