Die Black Keys feiern den Blues
Es ist eine Liebeserklärung, in der eine Drohung steckt. „I’m going with you babe, I’m going with you babe“, versichert der Sänger in flehendem Falsett, „don’t care where you go“. Wenn sie geht, dann wird er mit ihr gehen. Egal, wohin.
Klackernd steigert das Schlagzeug sein Tempo, wie ein Zug, der langsam Fahrt aufnimmt. Die E-Gitarre stottert wütend fauchende Akkorde. Dass seine Geliebte ihn verlassen will, kümmert den Mann nicht. Auch die anderen Typen, die sich für sie interessieren, machen ihm keine Angst.
Klingt nach einer Höllenfahrt
Nur eines soll sie wissen: Ihn wird sie so schnell nicht wieder los. Lieber würde er sterben, als ohne sie weiterzuleben. „I’d rather be dead, rather be dead, six feet in the ground.“ Klingt nicht nach einem Aufbruch ins Glück. Eher nach einer Höllenfahrt.
„Going Down South“ heißt die Anti-Liebeshymne, die zu den stärksten Stücken auf „Delta Kream“ gehört, dem gerade erschienenen neuen Album der Black Keys.
Geschrieben hat den Song der afroamerikanische Bluessänger R. L. Burnside, der 1926 im nördlichen Mississippi-Delta geboren wurde, sich lange als Baumwollfarmer und Barbetreiber durchschlagen musste und seine erste Platte erst veröffentlichen konnte, als er fast 60 war. Als er 2005 starb, war er hochgeachtet.
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Die Beastie Boys und die Jon Spencer Blues Explosion hatten ihn mitgenommen auf Tourneen. Seine rauen Lieder, die vom harten Leben einfacher Menschen erzählen, wurden gefeiert. Für ihre Coverversion von „Going Down South“ haben die Black Keys Burnsides Lyrics auf die zentralen Zeilen zusammengekürzt, bei der Musik halten sie sich aber penibel an die Vorlage, bis hin zu den im zweiten Teil ornamental ausfransenden Gitarrensoli. Es geht um Heldenverehrung, zwei Fans verbeugen sich vor ihrem Idol.
Der Titel „Going Down South“ könnte auch für das Programm der Band stehen und für den Weg, den sie im Lauf ihrer Karriere zurückgelegt hat. Südwärts. Sänger und Gitarrist Dan Auerbach und Drummer Patrick Carney stammen aus Akron in Ohio, wo sie sich als Collegeschüler kennenlernten und 2001 die Black Keys gründeten.
Die Betonung von Rhythmus und Perkussion
Inzwischen leben sie in Nashville. Im Easy Eye Sound-Studio, das Auerbach dort betreibt, ist „Delta Kream“ entstanden, ihr zehntes Studioalbum. Die Black Keys haben als Garagenbluesband angefangen, nun huldigen sie mit einem Coveralbum dem Genre.
Ihr Blick richtet sich dabei allerdings nicht ins Mississippi Delta, in dem einst der Blues geboren wurde. Sie interessieren sich mehr für den Mississippi Hill Country Blues, wie er in der hügeligen Landschaft etwas unterhalb von Memphis, Tennessee, gespielt wurde und gespielt wird.
Spezifisch für diese Spielart des Blues ist die Betonung von Rhythmus und Perkussion. Dabei entsteht ein Groove, der auch als „hypnotic boogie“ bezeichnet wird.
Einen solchen entfachen die Black Keys mit polterndem Schlagzeug und hochtourig kreischenden E-Gitarren auf Burnsides Outsider-Ballade „Poor Boy a Long Way From Home“, deren Sound an den „Boom Chicka Boom“–Stil von Johnny Cash erinnert.
Das Stück handelt von einem Familienvater, der als Strafgefangener auf einer Plantage schuften muss, weil er seine Kaution nicht bezahlen konnte. Er hat nicht mal Münzen, um zuhause anzurufen. Eine Hiobs-Geschichte, wie so oft im Blues.
Als Begründer des Hill Country Blues gilt Fred McDowell, bei dem R. L. Burnside Gitarren spielen lernte. Zu den wichtigsten Protagonisten dieser Musik zählt außerdem Junior Kimbrough. Acht der elf Stücke von „Delta Kream“ stammen von diesen drei Größen.
Er war wie weggeblasen
Dan Auerbach ist buchstäblich mit dem Blues groß geworden. In Interviews hat er von seinem Onkel Tim erzählt, der ihn einst mit Platten von Lightin’ Hopkins, Doctor Ross oder Joe Hill Louis versorgte. Seitdem sei er „süchtig“ nach dem Sound aus Memphis und vom Mississippi.
Bei Patrick Carney sorgten Muddy Waters’ Album „Electric Mud“ und eine Coverversion der Jon Spencer Blues Explosion von Burnsides Klassiker „A Ass Pocket of Whiskey“ für das Erweckungserlebnis. Zitat: „I was blown away“. Er war wie weggeblasen.
Mit 18 Jahren hat Auerbach gemeinsam mit einem Freund eine Pilgerreise zum Mississippi unternommen. Sie spielten mit einigen Blues-Veteranen und besuchten Junior’s Juke Joint, den Club von Junior Kimbrough. Ihn selbst trafen sie nicht mehr, er war bereits todkrank und starb 1998.
[„Delta Kream“ von den Black Keys ist bei Nonesuch erschienen.]
Schon auf ihrem Debütalbum coverten die Black Keys Songs von Kimbrough und Burnside. Ihre zweite und dritte Platte kamen bei Fat Possum Records heraus, dem Label, das mit seinen Veröffentlichungen für die späte Entdeckung von Kimbrough und Burnside sorgte.
Auf „Delta Kream“ kommen Auerbach und Carney ihren Idolen nun maximal nahe. Aufgenommen haben sie das Album innerhalb von zwei Tagen zusammen mit dem Gitarristen Kenny Brown und dem Bassisten Eric Deaton, die lange Burnside und Kimbrough begleitet hatten. Die Songs entstanden unter Live-Bedingungen, man hört es an kleinen Fehlern, die nicht nachgebessert wurden: Gesprächsfetzen im Studio, angefangene und dann abgebrochene Intros.
Ein prachtvoller Straßenkreuzer
Das Plattencover zeigt ein Farbfoto des berühmten Fotografen William Eggleston. Da parkt ein prachtvoller Straßenkreuzer vor einem Kiosk mit der Aufschrift „Delta Kream“. Man denkt sofort an das Black Keys-Album „El Camino“ aus dem Jahr 2011, auf dem ein Ford Camino zu sehen ist. Es gehört zusammen mit „Brothers“, ihrem kommerziellen Durchbruch, zu den besten Platten der Band.
Der Indie-Nische sind die Black Keys längst entwachsen, sie haben es zu einer mit sechs Grammys dekorierten Rock’n’Roll-Großband geschafft. Zuletzt wirkten sie allerdings ein wenig desorientiert. So öde wie der Titel ihres letzten Album „Let’s Rock“ (2019) waren auch dessen Songs, die mit den Formeln von Boogie- und Glamrock spielten.
Zurückzukehren zu den Wurzeln des Blues war genau die richtige Entscheidung. Man höre bloß einmal hinein ins sechsminütige, herrlich wippende Auftaktstück „Crawling Kingsnake“, einen hundert Jahre alten Klassiker, der in der Version von John Lee Hooker bekannt wurde. Er schlängelt sich sanft ins Ohr und bleibt dann lange hängen.