Wim Wenders wird 80: Im Kopf des Filmemachers

Wenn Wim Wenders ein neues Filmprojekt startet, scheint ihn nichts aus der Ruhe bringen zu können – bis zu dem Moment, wenn die ersten Filmaufnahmen beginnen. „Ich mag die Dreharbeiten nicht besonders“, sagt der Regisseur, der als einer der bedeutendsten Filmemacher Deutschlands gilt. „Man hat Angst, die Kontrolle zu verlieren.“

Erst wenn die Aufnahmen im Kasten sind und er mit den Bildern im Schnittraum sitze, finde er wieder Ruhe: „Da bin ich im Paradies, ohne Ängste.“

Das Geständnis ist einer der vielen Einblicke in die Denk- und Arbeitsweise des Regisseurs, die sich in der Comic-Erzählung „Das Storyboard von Wim Wenders“ finden. Geschrieben und gezeichnet hat sie der Kanadier Stéphane Lemardelé, der 2014 mit Wenders in Québec als Storyboard-Zeichner an den besonders komplexen Eröffnungsszenen von dessen dort gedrehtem Film „Every Thing Will Be Fine“ zusammengearbeitet hat.

An diesem Donnerstag wird Wenders, der mit Filmen wie „Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“, „Buena Vista Social Club“ und zuletzt „Perfect Days“ und „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ internationale Erfolge feierte, 80 Jahre alt.

Wim Wenders skizziert in dieser Szene für Stéphane Lemardelé, wie er sich bestimmte Kameraeinstellungen vorstellt.

© Splitter-Verlag

Zahlreiche Ortswechsel machen die Lektüre des Buches auch visuell abwechslungsreich: Es gibt Arbeitstreffen im kleinen Kreis in Montréaler Büros, Team-Besuche in Cafés und Restaurants, mehrere Ausflüge zum Drehort der ersten Filmszenen an einem vereisten und schneebedeckten Québecer See, zudem mehrere Studio-Drehtage und zwischendurch auch ein paar Passagen, in denen der Zeichner das Erlebte daheim verarbeitet.

Zahlreiche Szenen spielen am Drehort im winterlichen Québec.

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Zum Glück für den Zeichner und auch für die Leserinnen und Leser dieses Buches beschränkt sich der Austausch des Zeichners mit Wenders nicht auf die Arbeit am aktuellen Film. Immer wieder spricht der Regisseur auch ausführlich über andere Themen wie seine Inspirationsquellen, seine von Film zu Film wechselnden Arbeitsmethoden, sein Verhältnis zu anderen Kunstformen – er sieht das Kino als „Erweiterung der Malerei“ – oder seine ambivalente Einstellung gegenüber modernen Technologien wie der Digitalfotografie und dem 3-D-Film.

Hier vermittelt der Zeichner, wie aus ersten Skizzen und Fotos ein Storyboard entsteht, das dann die Grundlage für die Filmaufnahmen ist.

© Splitter-Verlag

Dazu kommen als zweite Bildebene grobe Bleistiftskizzen, mit denen Wenders und Lemardelé sich über Bildideen austauschen. Eine dritte zeichnerische Ebene sind dann die ausgearbeiteten Storyboard-Passagen, auf denen akkurat ausgeführt ist, was später auf den Filmaufnahmen zu sehen sein soll. Eine vierte Ebene vermitteln einzelne Szenenbilder aus Filmen von Wenders und seinen Vorbildern, die illustrieren, wie er arbeitet und wer ihn in seiner Karriere auf welche Weise geprägt hat.

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In seinem Vorwort schreibt Wenders auch, dass es neben der Malerei, der Fotografie und dem Film noch eine weitere Kunstform gebe, die er liebe und die ihn stark geprägt habe: „Alles, was es über das Erzählen einer Geschichte in einer Abfolge von Einstellungen oder Kadrierungen zu lernen gibt, habe ich schon als Kind aus Comics gelernt; letztendlich ist das die Grammatik des Filmemachens.“

Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel wurde 2023 zum ersten Mal veröffentlicht und nun aus aktuellem Anlass leicht überarbeitet.