Sex im Sägewerk: Kevin Lamberts provokanter Gewerkschaftsroman „Querelle de Roberval“

Vor zwei grauen und goldenen Kreissägeblättern lagert ein überirdisch schöner halbnackter Jüngling. Der plastische Hochglanzdruck lässt ihn wie aus Marmor erscheinen.

Die Bücher des Berliner Secession-Verlags beeindrucken immer durch ihre bibliophile Gestaltung, doch mit dieser romantisch-ironischen Kreation aus der Regensburger Traditionsdruckerei Friedrich Pustet übertrifft der Verlag sich selbst. Schläft der Beau auf dem Buchcover oder wurde er von drei Pfeilen tödlich getroffen? Dieses Rätsel geleitet sanft zur Lektüre eines Romans, der alles außer sanft sein will: Kevin Lamberts „Querelle de Roberval“.

Wo bleibt die Solidarität? Diese Grundfrage stellt der Shootingstar der Quebecer Literaturszene in seinem zweiten Roman. Kevin Lambert wurde 1992 in Chicoutimi in der Provinz Quebec als Sohn einer Apothekerin und eines Physiotherapeuten geboren. In einem Interview für die Zeitung „Le Monde“ erinnert er sich, dass er im Schulbus täglich an der Fabrik eines Automobilzulieferers vorbeifuhr, deren Arbeiter streikten.

Dieser stumme Anblick muss sich ihm tief eingeprägt haben. Die Protagonisten seiner „Gewerkschaftsfiktion“ bilden die 21 Fachkräfte des Sägewerks „Scierie du Lac“, zu denen etwa 40 Waldarbeiter auf Honorarbasis dazukommen, sowie die verhasste Betriebsleitung, die den Streikposten schon mal vergifteten Kaffee ausgibt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Zu Beginn des Romans hält der Ausstand fast ein Jahr den Ort Roberval in Atem, „eine kleine Dreckspfütze aus Bungalows und zweistöckigen Ladenlokalen, die dem Lac Saint-Jean ein Stück von seinem Ufer abnagt“.

Die explizite Sprache irritiert, zugleich besticht das Konglomerat aus verschiedenen Stilen, die Kevin Lambert alle souverän beherrscht. Eine ziemliche Herausforderung für seinen Übersetzer Frank Weigand, die dieser bewundernswert gemeistert hat.

Im Nachwort verortet er das Werk in der frankokanadischen Literaturtradition, die sich stets gegen die englischsprachige Mehrheit behaupten musste. „École de la Chainsaw“, Schule der Kettensäge, heißt eine Prosarichtung, die auf virile Weise vom harten Leben in den Wäldern erzählt. Nicht nur an diese Tradition setzt dieser irrlichternde Text die Axt an.