Hommage an Vittorio De Sica : Erschütterungen menschlicher Existenz

Seine Filme seien ein kleiner Stein in der moralischen Rekonstruktion Italiens nach dem Ende des Faschismus. So nannte es Vittorio De Sica in einem Radio-Interview mit Studs Terkel, der in seiner erregten Begeisterung ebenso anrührt wie der Regisseur. Über seine Filme sprach De Sica mit großer Zuneigung.

Wobei er von seinen mehr als 30 Arbeiten, darunter nicht wenige Komödien, ausschließlich jene meinte, die er in den späten 1940ern und frühen 50ern mit Laiendarsteller:innen nach den Prinzipien eines neuen Realismus gedreht hatte. Filme wie „Sciucià“ („Schuhputzer“, 1946), „Ladri di biciclette“ („Fahrraddiebe“, 1948) oder „Il tetto“ („Das Dach“, 1958).

Die Figuren in De Sicas Sozialdramen bewegen sich im Spannungsverhältnis von Klassensolidarität und Verrat. De Sica, der Schauspieler, verkörperte hingegen die Negation seiner Filmfiguren. Der Staub der Straße, der bei der verzweifelten Suche nach Obdach oder Mietschulden an ihren verschwitzten Gesichtern klebt, ist ihnen fremd. De Sicas oft zwielichtige Charaktere, darunter kultivierte Diebe und Hochstapler, haben sich den angenehmen Seiten des Lebens verschrieben.

Himmelfahrt der Unterprivilegierten

Stets umgibt sie der Duft eines wohlriechenden Rasierwassers. In Rosselinis „Il generale Della Rovere“ („Der falsche General“, 1959) spielt De Sica einen Mann, der während des Krieges mit schäbigen Betrügereien am Leid anderer verdient und erst im Gefängnis zu seinem Gewissen findet. Wie der falsche General war auch De Sica ein notorischer Spieler – eine Schwäche, für die er mit zahllosen Rollen in belanglosen Filmen bezahlen musste. Eine vom Arsenal ausgerichtete Hommage, die aufgrund des Umzugs bis Ende Mai im Kino am Bundesplatz und dem Klick Kino läuft, verbindet die wichtigsten Regiearbeiten mit Filmen aus De Sicas Schauspielkarriere.

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Auch im Komödienfach war Vittorio De Sica erfolgreich. Sophia Loren und Marcello Mastroianni in „Hochzeit auf Italienisch“.

© Arsenal – Institut für Film und Videokunst

Ohne seinen langjährigen Drehbuchautor Cesare Zavattini wäre De Sica kaum denkbar. Mit seinem Kinderbuch schrieb Zavattini auch die Vorlage für die märchenhafte Parabel „Miracolo a Milano“ („Das Wunder von Mailand“, 1951), die in der kollektiven Himmelfahrt der Unterprivilegierten (auf Besen!) ein zwiespältiges Ende findet. Seine Darsteller:innen entdeckte der Regisseur auf der Straße. Der Vater, dessen gerade erst gefundene Arbeitsstelle durch den Diebstahl seines Fahrrads bedroht ist, war Mechaniker, der von der Zwangsräumung bedrohte Pensionär Umberto D. Beamter.

Die Kraft ihres Spiels erklärte De Sica mit einer einfach klingenden Formel. Die eine Hälfte verdanke sich dem Gesicht, die andere seiner Liebe zu den Menschen. Zu seinem Verdruss konnte er Sophia Loren in „Ciociara“ („… und dennoch leben sie“, 1960) nicht dazu bewegen, auf ihr starkes Augen-Make-up zu verzichten. Die Reibung von „ungeschminkter“ Realität und einem Starkörper, der seinen Sex-Appeal nicht bändigen kann, schiebt sich vor das Kriegsdrama.

André Bazin, der erste Exeget des Neorealismus, feierte De Sicas Filme früh als Anverwandlung an die Wirklichkeit. In seinen Augen kam dabei das Kino zum Verschwinden – eine Behauptung, die angesichts der bis ins kleinste Detail orchestrierten „Wirklichkeitsschilderungen“ schon bald nicht mehr haltbar war.

„Was damals in den Fahrraddieben als ungeschönigte Realität empfunden wurde, entfaltet heute alle seine Fiktionen“, schrieb Frieda Grafe in ihrem 1979 veröffentlichten Aufsatz „Realismus ist immer Neo-, Sur-, Super-, Hyper-. Sehen mit fotografischen Apparaten“. De Sica, fünf Jahre zuvor verstorben, hätte dieser These wohl kaum widersprochen. In dem Gespräch mit Terkel deutet er Neorealismus für sein Werk als in „Poesie verwandelte Wirklichkeit“.