Senats-Sparpläne für die Kultur: Berlin zerstört sensible Infrastruktur
Arm, aber sexy. Das war einmal das coole Mantra des einstigen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Irgendwann konnte man es nicht mehr hören, war es verbraucht. Doch wie dringend nötig hätte diese Stadt jetzt eine solche Botschaft!
Stattdessen wird auf der ganzen Linie gespart, vor allem offenbar bei der Infrastruktur. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner wollte Berlin wieder zum Laufen bringen. Klar ist jetzt, was er meinte: Man geht zu Fuß. In ein Theater, das nicht spielt. In ein Konzerthaus, das stumm bleibt. In ein Museum, das eine geplante Ausstellung absagen musste. Arm, aber egal. Das scheint das neue Motto zu sein.
Kai Wegner schweigt
Allein im Bereich der Verkehrsverwaltung sollen 700 Millionen Euro gestrichen werden. Der Wahnsinn geht weiter in der Kultur, dort sind es wohl, wie man aus Senatskreisen hört, 100 Millionen Euro pauschale Minderausgaben. Das gab es noch nie. Anfang der Woche soll es beschlossen werden.
Kultur gehört in Berlin zur sensiblen Infrastruktur. Darauf schienen sich in den jetzt dreieinhalb Jahrzehnten nach dem Fall der Mauer die demokratischen Parteien verständigt zu haben. Es lohnt sich, in Kultur zu investieren. Sie ist zwar nicht die Schwerindustrie der Stadt, wie es gelegentlich in der Szene heißt, aber sie ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor obendrein. Wie die Hochschulen. Auch sie sind dran. Berlin spart an seiner Zukunft, dass es einem den Atem verschlägt.
Kein Wort hat man in den vergangenen Monaten von Kai Wegner zur Situation der Kultur gehört. Für einen CDU-Politiker ungewöhnlich, gibt er ein traditionell bürgerliches Feld kampflos auf. Es interessiert ihn offenbar nicht. Und er hat mit seinem Parteifreund Joe Chialo einen Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, der sich alles gefallen lässt.
Nur ein Plakat, eine Mogelpackung: Wie soll Kultur Zusammenhang schaffen, demokratische Bildung fördern, wenn sie beschnitten wird? Immer mehr gesellschaftliche Aufgaben werden dem Kulturbereich zugewiesen, auch im Bund. Gleichzeitig kommt es zu harten, nie dagewesenen Kürzungen. Das passt nicht zusammen.
Wer hält Berlin bald noch für sexy?
Bei der Demonstration der Kulturszene letzte Woche am Brandenburger Tor wurde Chialo ausgebuht. Er kam als Überraschungsgast. Was wollte er dort? Wieder nur versuchte er, wie schon seit Wochen und Monaten, zu beschwichtigen. Hat er im Senat für seinen Etat gekämpft? Kennt er das parlamentarische Geschäft? Keiner glaubt daran. Zehn Prozent Haushaltskürzung: Das geht nur querbeet, das trifft alle. Und das soll so weitergehen in den kommenden Jahren. Und was sagt eigentlich die Berliner SPD zu alledem?
Keine Frage, Chialo hat sein Amt in einer schwierigen Zeit angetreten, mit wenig politischer Erfahrung. Sollte es bei den angekündigten Kürzungen bleiben, könnte er als Kultursenator der Pleiten und der Pannen – was macht eigentlich die Volksbühne? – in die Geschichte der Hauptstadt eingehen. Gut möglich aber auch, dass er sich mit seiner Anpassungsfähigkeit – wir sitzen alle im gleichen Boot, es wird schon nicht so schlimm usw. – für höhere Aufgaben empfiehlt.
Auch im Bund hat die Kulturpolitik mit der grünen Staatsministerin Claudia Roth eine problematische Phase. Auch da fehlt das entschlossene Auftreten, der Überblick über die reiche Kulturlandschaft. Bund und Land Berlin geben ein gleichermaßen graues Bild ab, wenn es um Kultur geht.
Dass gespart werden muss, ist ja unbestritten. Aber dafür braucht es eine Strategie, eine Verständigung, eine Perspektive für die nächsten Jahre. Nach dem BER-Debakel liefert Berlin ein neues Beispiel der Inkompetenz und Sturheit.
Der drohende harte Schlag gegen die Kultur in der Hauptstadt wird national und international Aufmerksamkeit erregen, wie das Erkalten der Clubkultur. Denn viele Menschen halten diese Stadt irgendwie immer noch für sexy. Sie werden sich wundern.