Trauerfeier an der Volksbühne: Pollesch ist doch immer Party
Die Show muss weitergehen. Spontan wurde jetzt „ja nichts ist ok“, die letzte Inszenierung René Polleschs an der Volksbühne, zu den Wiener Festwochen eingeladen. Auch dort hinterlässt sein Tod eine Lücke, in Wien hat er häufig inszeniert. Vor zwei Monaten starb er unerwartet und versetzte die Theaterwelt in Schockstarre. Am Rosa-Luxemburg-Platz ist nichts mehr, wie es einmal war.
Doch so makaber wie es klingt: Das ist dort fast schon der Dauerzustand. Nach dem Abgang von Frank Castorf, nach dem Scheitern von Chris Dercon, nach dem unverdienten Rauswurf von Klaus Dörr herrscht dort im Grunde Ausnahmezustand. Auch René Polleschs kurze Intendanz konnte das große Haus nicht wirklich in Form bringen.
„Schmeiß dein Ego weg“
Und jetzt? Jetzt haben die Verbliebenen ihrem Anführer einen Riesenabschied bereitet. Volles Haus, drei Stunden Pollesch-Programm unter dem Pollesch-Motto: „Schmeiß dein Ego weg und feier was du liebst.“ Eine Trauerfeier, vielleicht doch eher eine Trauerparty. Surreales, komisches, ergreifendes Spektakel: Das konnten sie an der Volksbühne schon immer. Und hier war es wie eine Energieausschüttung. Die kommenden Monate, Jahre werden schwer. Ein Nachfolger, eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht. Kultursenator Joe Chialo, der im Publikum saß, mag sich seine Gedanken gemacht haben, wie es an der Volksbühne weitergehen könnte.
Ein Kessel irre Buntes
Einmalig: Auf der Bühne rollt eine Varieté-Show ab, ein Kessel Buntes, gewiss viel zu lang, aber alle wollen sich vor René verneigen, sich dankbar zeigen, Zusammenhalt demonstrieren. Martin Wuttke macht den Anfang, schlurft mit Kippe und Blecheimer an die Rampe und verliert sich in einem Nicht-Text über Schauspieler und Seele. Fabian Hinrichs schwebt vom Bühnenhimmel und singt von den „Streets of Berladelphia“. Eine legendäre Pollesch-Inszenierung: „Kill your darlings“.
An der Volksbühne ist das schreckliche Wahrheit: Christoph Schlingensief starb jung, wie der Volksbühnen-Bildner Bert Neumann. Jürgen Gosch und Dimiter Gotscheff, die auch an diesem Haus aufgeführt haben, wurden nicht wirklich alt. Fabian Hinrichs, so etwas wie Polleschs Erster Schauspieler und Solist, erklärt: „Die besten Szenen werden wir heute nicht zeigen. Das könnten wir alle nicht ertragen.“ Und es wird doch ein Best of, irgendwie, mit neuen Nummern.
Wo beginnen? Noch einmal blicken sie in Polleschs Kosmos, und Songs werden eingespielt, die zu gut passen in diesem Moment. „All By Myself“, „So Lonely“. Es gibt auch Live-Musik: Sir Henry am Piano begleitet den Volksbühnen-Chor bei „God Only Knows“. Und Dirk von Lowtzow, Tocotronic-Frontmann, der mit Pollesch einmal eine Gentrifizierungsoper geschrieben hat, widmet seinem Freund „Let There Be Rock“.
Chopin und eine Kuh
Ja, die Volksbühne rockt zum letzten Tanz. Es geschehen irre Dinge. Milan Peschel liefert sich einen ausgedehnten Kampf mit einem Mikrofonständer: fantastischer Slapstick. Wir sehen wilden Salsa-Tanz und HipHop. Zum Trauermarsch von Chopin schreiten, tief schwarz gekleidet, die Pollesch-Schauspielerinnen über die Drehbühne: eine Reminiszenz an seine Stücke mit Chor. Dann wird, kein Witz, eine waschechte Kuh auf die Bühne geführt, die sich von Sophie Rois einiges anhören muss. Kathrin Angerer legt ein brillantes Solo hin – auf der Suche nach „Drama“.
Und wenn es einen Höhepunkt gegeben hat, dann ist es an Florentina Holzinger und ihren nackten Frauen gewesen. Sie marschieren zackig-militärisch ein, und die Choreografin erzählt, wie sie René in einer Bar kennengelernt hat. Wie er immer für sie da war, für ihre verrückten Performances. Warum sie ihn für Jesus hält. Klingt blöd. Aber Holzinger ist überzeugend. Kraftvoll und außergewöhnlich. So wie noch einmal die ganze Volksbühnen-Family.
Ein zartes Bild, das bleibt: Wie der rote Vorhang schwebt und wogt, eine Wolke, ein Hauch, vielleicht die Seele des Verstorbenen.