AfD-Chef Chrupalla bei Maybrit Illner: Am Lagerfeuer des Grauens
Es braucht an diesem Donnerstagabend bei Maybrit Illner weit über lange zwanzig Minuten, bis klar wird, dass diese Runde eine größere ist und „tollerweise“ (Illner) nicht nur aus dem AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla, Armin Laschet von der CDU und der stellvertretenden „Spiegel“-Chefredakteurin Melanie Amann besteht.
Auch der BDI-Vorsitzende Siegfried Russwurm und die Schriftstellerin Juli Zeh sind dabei, und Zeh bringt den im Grunde vorhersehbaren Talk auf den Punkt, als sie mit ihrem ersten Redebeitrag ihr „Unbehagen über diese Diskurskonstellation“ äußert: „Alle erklären Herrn Chrupalla, wie er seinen Parteivorsitz besser und ehrenwerter machen sollte, und alle versammeln sich um ihn, als wäre er das Lagerfeuer des Grauens.“
Chrupallas Opferrolle
Chrupalla, so der Eindruck, scheint sich das erste Mal zu entspannen und schaut nickend zu Juli Zeh hinüber, eine Versteherin! Doch Zeh fügt gleich an, dass sie nicht hier sitze, „um Ihre Opferrolle zu unterstützen“, sondern dass es andere Themen gebe und man sich besser fragen solle, was aus Europa wird. Damit verändert sie die Richtung der dann bisweilen doch fruchtbareren Diskussion, die zuvor in erwartbaren Bahnen verlief.
Chrupalla war zum zweiten Mal nach seinem Besuch bei Caren Misoga am Sonntag zum öffentlich-rechtlichen TV-Talk geladen worden, nach wegen der Krah-Bystron-Spionageaffäre turbulenten Tagen für die AfD. Dass es dieses Mal für Chrupalla nicht so freundlich zugehen würde wie bei Miosga, verstand sich von selbst. Der ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet konstatierte, „dass es solche Zustände an Landesverrat in der Bundesrepublik noch nie gegeben“ habe. Melanie Amann sagte, dass es „in der deutschen Geschichte keinen Vorgang“ gegeben habe, „wo der Kandidat für eine Wahl mit so harten Indizien konfrontiert war“, und Chrupalla verteidigte sich mit der „Unschuldsvermutung“, die gelte, mit „Beweismitteln“, die fehlen würden, mit „hätte, wäre, könnte.“ etc.
Ja, es sollte um die AfD gehen und auch deren Spionagefälle, in die ihre beiden Europa-Spitzenkandidaten verwickelt sind. Mehr noch darum, wie sehr die rechtsextreme Partei eigentlich deutsche Interessen vertritt. Dank Zeh, die wohl als „Bürgerin“ eingeladen worden war, ja, merkwürdigerweise als Vertreterin der Landbevölkerung, wegen ihrer Romane „Unter Leuten“ und „Unter Menschen“ und weil sie seit 17 Jahren im Brandenburgischen wohnt, dank Zeh also kommt man an diesem Abend zum Krieg in Europa, der Rolle der AfD für Russland und schließlich zur europäischen Einigung, die so gefährdet wie nie ist, zum europäischen Projekt.
Und eben, was im Subtext bei dieser Diskussion immer mitschwingt, zum Dauerproblem der Öffentlich-Rechtlichen, das mit den Wahlerfolgen der AfD immer größer geworden ist: Wie umgehen mit der Partei, mit ihren Spitzenleuten? Dosiert einladen und vorführen? Reden lassen und argumentativ widerlegen?
Ausreden und nicht ausreden lassen
Chrupalla weicht aus, verweist auf von der Leyen, als es um Krah geht, beantwortet lieber nicht die Frage, ob Putin ein Kriegstreiber sei, sondern kontert kunterbunt mit Barack Obama, Irak, Syrien und Libyen und schafft es immerhin zu sagen, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verlieren und Russland ihn nicht gewinnen dürfe. Den fast wohltuenden Differenzierungen von Armin Laschet hat er wenig entgegenzusetzen, und irgendwann läuft das „Lassen Sie mich doch mal ausreden“ des Vielzwischenredners Chrupallas in Dauerschleife.
Zeh plädiert für die Idee, vielleicht auch mal über Friedensverhandlungen nachzudenken und nicht nur über Waffenlieferungen, was Chrupalla wieder unterstützt („Mir geht es darum, dass das Sterben aufhört“), und sie weitet die Diskussion abermals, nämlich deutsche Interessen nicht in einen Antagonismus zu europäischen zu bringen, wie es die AfD tut: „Das ist doch das Thema vor der Europa-Wahl!“. Man müsse, so Zeh, den europäischen Gedanken glaubhafter vermitteln, „sonst sitzen lauter Europäer in den oberen Etagen und unten bricht uns die Unterstützung weg.“
Das Hoffnung spendende Schlusswort hat dann Armin Laschet, vielleicht auch als Ratschlag für die Öffentlich-Rechtlichen: „Je mehr Sie so auftreten wie heute“, sagt er in Richtung von Tino Chrupalla, „je mehr Fälle es gibt wie Krah und andere: Die Bürger werden es merken. Man sieht es auch an den Umfragen.“