Adenauers Watergate: Eine Geschichte der deutschen Nachrichtendienste
Seit einer Reihe von Jahren wird die NS-Geschichte von Bundesministerien und obersten Bundesbehörden erforscht. Klaus-Dietmar Henke war der Sprecher der „Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968“, die als Ergebnis ihrer Arbeit beachtliche 15 Bände vorgelegt hat.
Noch nie zuvor hat ein aktiver Nachrichtendienst in so großem Umfang Zugang zu seinen Archiven gewährt. Ein bemerkenswerter Dienst an der Demokratie. Henke selbst hat zwei Bände dieser Großedition verfasst, die den wohl bewusst doppeldeutigen Titel „Geheime Dienste“ tragen und die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen und des BND in der Ära Adenauer zum Thema haben.
Ein auf den ersten Blick erstaunliches Thema, denn für Inlandsspionage war der BND überhaupt nicht zuständig. Die Aufgabe des BND ist laut Gesetz die zivile und militärische Aufklärung des Auslandes. Im Inland ressortiert die Aufklärung bei dem 1950 geschaffenen Bundesamt für Verfassungsschutz.
Henkes Forschungen erregten denn auch international großes Aufsehen. Die „Washington Post“ sprach von einem „German Watergate“. Dieser Begriff hat den Titel des vorliegenden Buches inspiriert – eine populäre Zusammenfassung der Essenz dessen, was Henke in „Geheime Dienste“ auf 2.300 Seiten dargestellt hat.
Generalmajor Reinhard Gehlen war bis 1945 Leiter der „Abteilung Fremde Heere Ost“ gewesen. 1946 gründete er die „Organisation Gehlen“, aus der 1956 der BND hervorging, den Gehlen bis 1968 leitete. Als Anhänger der Idee eines autoritären Machtstaates hatte Gehlen keine Bedenken, seine Organisation auch in illegaler Weise in den Dienst der Regierung zu stellen.
Gehlen bildete gemeinsam mit Hans Globke eine starke Achse der Machtsicherung für Adenauer. Der Verwaltungsjurist Globke, einst Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, leitete von 1953 bis 1963 das Bundeskanzleramt und war neben vielem anderen für die Kontrolle von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz zuständig. Globke war der mächtigste Mann hinter Adenauer und das prominenteste Beispiel für Elitenkontinuität nach 1945.
Der BND versuchte, die verschiedenen Bereiche der bundesrepublikanischen Gesellschaft mit Personen seines Vertrauens zu durchdringen. Dabei – so Henke – überschritt er in den Jahren bis 1968 sämtliche Grenzen. Zu den innenpolitischen Aktivitäten gehörte auch die Beobachtung der politischen Parteien. So ließ Adenauer innerparteiliche Gegner bei der CDU bespitzeln, zum Beispiel Jakob Kaiser und Eugen Gerstenmaier. Auch der widerspenstige Koalitionspartner FDP wurde beobachtet.
Im Mittelpunkt der Geheimberichte, die nahezu täglich im Bundekanzleramt eintrafen, stand aber die SPD. Ähnlich wie Reichspräsident Hindenburg in der Weimarer Republik setzt Adenauer alles daran, die SPD von den Regierungsgeschäften auf nationaler Ebene fernzuhalten und koalierte stattdessen lieber mit dubiosen Kleinparteien am rechten Rand.
Als besonders gefährlich galt der Exkommunist Herbert Wehner, der sich 1946 den Sozialdemokraten angeschlossen hatte. Ein erbitterter Gegner Wehners war auch Siegfried Ortloff, der Personal- und Sicherheitschef beim Parteivorstand der SPD. Er bereitete die Sitzungen des Parteivorstands vor und führte auch Protokoll. Er war in alle relevanten Vorgänge eingeweiht und wurde bald zum wichtigsten Nachrichtenlieferanten für den BND.
Verbindungsmann zwischen Ortloff und Gehlen war der Sozialdemokrat Siegfried Ziegler, der seit 1948 für die Organisation Gehlen tätig war. Die Zusammenarbeit zwischen den dreien nahm immer intensivere Formen an und erreichte ihren Höhepunkt im Jahr der Bundestagswahl 1957.
Adenauer war stets tagesaktuell über alle Diskussionen im Parteivorstand der SPD informiert, über Personal- wie über Programmdebatten, über Wahlkampfpläne wie über die Strategie für bevorstehende Parlamentsdebatten. Adenauer hielt diese umfassende Ausspionierung des politischen Gegners für ebenso nützlich wie legitim und prahlte mit seinen intimen Kenntnissen gerne auch bei Sitzungen des CDU-Bundesvorstands.
Henke nennt diese illegale Entartung der „Kanzlerdemokratie“ der Ära Adenauer ein schweres Demokratieverbrechen. Horst Möller, der, gewissermaßen als Adenauers Stellvertreter auf Erden, an der Buchvorstellung am 4. Oktober im Haus der IG Metall teilnahm, lehnte den Begriff, meinte, bei allen Parteien habe es mal Unregelmäßigkeiten gegeben, und im Übrigen sei die SPD damals ohnehin nicht regierungsfähig gewesen. Dass Adenauer, wenn all das, was wir heute wissen, damals bekannt geworden wäre, hätte zurücktreten müssen, kann indes keinem Zweifel unterliegen. Eine Stellungnahme der CDU oder der beiden Stiftungen, die den Namen Adenauers tragen, ist bis heute nicht bekannt geworden.